Wissenschaftliche Forschung ist ein faszinierendes Betätigungsfeld, das idealerweise Detektivarbeit mit Abenteuerlust und Entdeckerdrang vereint. Mit steigender Bekanntheit der Citizen Science-Projekte finden immer mehr Privatpersonen interessante Forschungsbereiche, denen sie nachgehen können. Dafür muss man nicht einmal das Haus verlassen. Wer von der bequemen Couch aus forschen möchte, kann mit dem heimischen Computer an vielen unterschiedlichen Citizen Science-Projekten teilnehmen.
Auch wenn der Begriff „Citizen Science“ nach einer Wortschöpfung der Neuzeit klingt, existiert er bereits seit den Neunziger Jahren. Er lässt sich als „Bürgerwissenschaft“ übersetzen und umfasst im weitesten Sinne alle wissenschaftlichen Projekte, an denen sich Privatpersonen und Laien beteiligen können. Diese können einfache Beobachtungs- und Zähltätigkeiten beinhalten, wie auch komplexere Analysen und Datenauswertungen. Das Konzept der Bürgerbeteiligung ist dabei ebenfalls kein neues. In organisierter Form existiert es seit mindestens hundert Jahren. Als erstes Projekt dieser Art wird der jährliche Christmas Bird Count genannt, der in den USA im Jahr 1900 begann und bis heute existiert. In Deutschland war Fledermaus-Online der Universität Ulm eines der ersten Citizen Science-Projekte.

Inzwischen ist die Liste der Citizen Science-Projekte um eine Vielzahl angestiegen. Erste Anlaufstelle für Interessierte ist die deutsche Plattform „mit:forschen“, die neben allen wichtigen Informationen zu diesem Thema auch eine praktische Suchfunktion bietet, mit der man Projekte weltweit nach Themen sortieren kann. Praktisch sind hierbei die Suchfilter, die es erlauben, beispielsweise gezielt nach Kinder- oder reinen Online-Projekten zu suchen.
Im englischsprachigen Raum entspricht dem die „Zooniverse“-Plattform, die zugleich die weltweit größte ihrer Art ist. Zwar setzt die Teilnahme eine gewisse Grundkenntnis der englischen Sprache voraus, bietet dafür aber einen großen Vorteil gegenüber der deutschen Seite: Zur Teilnahme sind weder Anmeldung noch die Installation einer App notwendig. Man kann einfach auf den entsprechenden Link klicken und loslegen.
Um einen Einblick in die Vielfalt möglicher Couch-Aktivitäten zu gewähren, seien hier ein paar der interessantesten Projekte aufgezeigt, von bodenständigen bis hin zu regelrecht außerweltlichen:
01. Das WildLIVE!-Projekt
Das Senckenberg Museum hat WildLIVE! ins Leben gerufen, um die Säugetierpopulation in verschiedenen Gebieten der Erde zu beobachten, was auch Biomonitoring genannt wird. Dazu wurden Dutzende Kamerafallen in Südafrika und Bolivien aufgestellt, die auslösen, sobald etwas den Bildbereich betritt. Das können wilde Tiere, Nutzvieh oder auch Menschen und Fahrzeuge sein. Aufgabe ist es, die abgebildeten Tiere zu identifizieren und richtig zu benennen. Je nach Standort der Kamera bekommt man so Raubkatzen, Affen, Antilopen und viele andere Wildtiere zu sehen.
Eine Anmeldung ist erforderlich.

02. Das PlanktonID-Projekt
Bei PlanktonID des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung fotografiert eine spezielle Unterwasserkamera, der sogenannte Underwater Vision Profiler (UVP), Kleinstlebewesen in einer Tiefe bis zu 6000 Metern unter der Meeresoberfläche. Das abgelichtete Plankton muss danach über Vergleichsfotos identifiziert werden. Nach einem kurzen Probelauf muss man sich für das weitere Projekt anmelden.
03. Die Plattform Transcribathon Europeana
Dies ist kein einzelnes Projekt, sondern eine Plattform, die sich dem Transkribieren und Erschließen historischer und neuzeitlicher Dokumente aus Europa verschrieben hat. Solche handgeschriebenen Texte sind oftmals schwer zu lesen und inhaltlich in digitaler Form kaum erschlossen. Wer bei der Transkription mithelfen möchte, sollte deshalb ein gutes Auge für Handschriften haben und sich durch das Tutorial arbeiten. Danach kann man sich je nach Fremdsprachenkenntnis an verschiedensprachigen Texten versuchen, oder sich nur an deutsche Texte halten.
Für die Teilnahme ist eine Anmeldung erforderlich, Neugierige können die Dokumente aber offen einsehen.

04. Das Colouring Dresden-Projekt
Colouring Dresden wurde vom IÖR-Forschungsdatenzentrum geschaffen. Ziel ist es, Informationen über Dresdens Gebäude zu sammeln und zu erfassen. Dies geschieht auf einer interaktiven Stadtkarte, auf der Gebäudemerkmale farblich festgehalten werden. Die Recherche der historischen Daten kann sich dabei recht aufwendig gestalten und ist daher für Leute geeignet, die sich gerne tief in die Materie einarbeiten. Dazu findet man auf der Projektseite ein ausführliches Tutorial, eine Liste von Recherchequellen und vieles mehr.
Eine Anmeldung ist erforderlich.
05. Das Reading Emotions-Projekt
Wer es etwas ausgefallener mag, kann hier mithelfen, einer KI das Erkennen von Emotionen beizubringen. Im Reading Emotions-Projekt bekommt man englische Texte vorgesetzt und muss Fragen zum emotionalen Gehalt der einzelnen Passagen beantworten. Durch das Sammeln dieser Daten lernt die KI, Emotionen aus bestimmten Formulierungen herauszulesen. Man hat die Wahl zwischen verschiedenen Literaturarten und kann unter dem obigen Link sofort loslegen. Einzige Voraussetzung ist ein sehr gutes Verständnis der englischen Sprache und des vermittelten Inhalts. Ein kurzes Tutorial mit Beispielen kann jederzeit eingeblendet werden.
Eine Anmeldung ist nicht erforderlich, einfach auf den obigen Link klicken.

06. Das Dental Disease Detection-Projekt
Hier gibt es wechselnde Projekte rund um das Interpretieren von zahnärztlichen Röntgenaufnahmen. Ob es um die Identifizierung von Zahnkrankheiten geht oder um die korrekte Nummerierung von Zähnen – hier dürfte für jeden etwas dabei sein. Da es sich hierbei um eine recht anspruchsvolle Fachtätigkeit handelt, sollte man sich, neben dem abrufbaren Tutorial, auch im Internet über das Interpretieren von Röntgenaufnahmen und die englischen Fachbegriffe informieren. Besonders zu Anfang vermeidet man so Fehlinterpretationen der gezeigten Bilder.
Eine Anmeldung ist nicht erforderlich, einfach hier loslegen.
07. Das Maturity of Baby Sounds-Projekt
Eher akustisch orientierte Typen können dabei helfen, Babygeräusche zu erkennen und zu klassifizieren. Man bekommt kurze Sprachaufnahmen zu hören und kategorisiert sie nach Alter und Sprachausprägung. Audioclips, die nur Stille wiedergeben, werden dabei ignoriert. Umweltgeräusche und die Stimmen von Erwachsenen werden entsprechend gekennzeichnet. Für diese Aufgabe sind ein gutes Gehör und hochwertige Lautsprecher zu empfehlen.
Eine Anmeldung ist nicht erforderlich, einfach hier loslegen.


08. Das Galaxy Zoo-Projekt
Manche Dinge erkennt man am besten, wenn man sie mit Abstand betrachtet. Beim Galaxy Zoo besteht die Aufgabe darin, anhand von Aufnahmen des Euclid-Teleskops die Form von Galaxien zu bestimmen. Man schaut sich mehrere Aufnahmen einer Galaxie an und kategorisiert sie nach ihrer Form und bestimmten Merkmalen, wie der Anzahl der Spiralarme oder der Ausprägung des zentralen Kerns. Hin und wieder tauchen Fehlaufnahmen anderer Objekte auf, wie etwa naher Sterne, die es auszusortieren gilt.
Eine Anmeldung ist nicht erforderlich, einfach auf den obigen Link klicken.
09. Das Black Hole Hunters-Projekt
Wirklich große Beute kann man bei diesem Projekt machen. Man sieht sich grafisch abgebildete Lichtkurven ferner Sterne an und achtet dabei auf verräterische Spitzen in der natürlichen Lichtschwankung. Diese Spitzen verraten oft die Anwesenheit eines Schwarzen Loches, das vor dem Stern vorbeizieht und sein Licht wie eine Lupe bündelt. Die Herausforderung bei dieser Aufgabe besteht darin, die von einem Schwarzen Loch verursachten Lichtspitzen von anderen Störquellen und natürlichen Schwankungen zu unterscheiden. Zusätzlich zum gewohnten Tutorial findet man hier noch einen Trainingsmodus, in dem man üben kann, ohne dass Fehler in die Datensammlung einfließen.
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10. Das Name that Neutrino!-Projekt
Jetzt wird es richtig exotisch. Zur Erklärung: Neutrinos gehören zu den winzigsten bekannten Elementarteilchen und sind nur schwer zu erforschen. Das liegt an ihrer äußerst geringen Masse und Wechselwirkung mit anderen Teilchen. Durch feste Materie fliegen sie unbemerkt hindurch. Um sie überhaupt zu detektieren, bedarf es besonderer Neutrino-Observatorien mit sehr großem Messvolumen, in denen passierende Neutrinos mit Molekülen eines Auffangmediums wie etwa Wasser oder Eis zusammentreffen. Am Südpol der Erde steht ein solches Observatorium, das IceCube Neutrino Observatory, und misst Neutrino-Kollisionen in einem 1 km³ großen Bereich der Eisdecke. Bei jeder dieser Kollisionen entsteht eine Grafik, die die Bewegung des Neutrinos abbildet. Diese Grafiken müssen ausgewertet werden. Wer sich daran versuchen will, sollte das Tutorial genau studieren, um Neutrino-Signale vom Hintergrundrauschen zu unterscheiden und richtig zu klassifizieren.
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Wie man sieht, steckt allein in diesen zehn Beispielen eine unglaubliche thematische Variation. Nimmt man sich die Zeit, die beiden Plattformen Zooniverse und mit:forschen zu durchstöbern, findet man eine Menge weiterer faszinierender Themen zu beinahe jedem Forschungsgebiet. Viele der angebotenen Projekte lassen sich selbst mit geringstem Zeitaufwand betreiben, wenn man zum Beispiel in der Mittagspause schnell ein paar Galaxien bestimmen will. Andere Forschungsfelder hingegen erlauben eine tiefere Einarbeitung und mehr persönlichen Einsatz. (RHD/2024)