Auf Frankfurter Wochenmärkten sind die Obststände voll der unterschiedlichsten Apfelsorten. Ganz besonders die Apfelweinstände zählen zu den beliebtesten Gastroständen. Dies ist ein vergleichsweise junges historisches Phänomen, denn der Siegeszug des Apfelweins im bürgerlichen Frankfurt begann erst im 15. Jahrhundert und schreitet seitdem unaufhaltsam fort. Dies würdigte die UNESCO im Jahr 2022: Sie setzte die handwerkliche Apfelweinkultur Hessens auf die UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes.
Apfelweinherstellung beginnt schon bei der Auswahl der richtigen Apfelsorten. So sind Boskoop, Wintergoldparmäne, Kaiser Wilhelm, Luiken, Schafsnase oder Bittenfelder Garanten für eine spritzige Säure und den vollmundigen Geschmack des flüssigen Kulturgutes. In den Apfelweinkeltereien werden sie zu einer grobkörnigen Maische zerkleinert, aus der zunächst Apfelsaft gewonnen wird. Diese wird mit Hefe versetzt, die im darauffolgenden Gärungsprozess die speziellen Aromen ausbildet. Handwerkliche Apfelweinkultur wird seit jeher in Familienbetrieben ausgeübt – neben neueren Vereinen und Keltergemeinschaften, die ihr eigenes Obst anbauen, keltern und zu Most verarbeiten. Das Wissen um die Apfelweinsorten, die Streuobstwiesen und die Praxis der Herstellung wird generationenübergreifend weitergegeben. Die durch Streuobstwiesen, Kleinkeltereien und sogenannten Straußwirtschaften geprägte Kulturlandschaft verleiht dem Frankfurter Umland nach wie vor seine Identität.
Wie die Frankfurter Bürger im Lauf der Zeit den Geschmack des Apfelweins schätzen gelernt haben, ist in vielen alten Stadt- und Stadtteilchroniken und Kirchenbüchern dokumentiert. Bis zum 15. Jahrhundert wurde im Frankfurter Umland der klassische Weinbau betrieben. Traubenwein war hoch nachgefragt, während vieler Jahre aber ein knappes Gut und deshalb entsprechend teuer. Kälteeinbrüche, Schädlinge und Rebkrankheiten führten zu häufigen Missernten, weswegen der Rat der Stadt Frankfurt Anfang des 16. Jahrhunderts keine neuen Weinberge mehr genehmigte. Allein zwischen 1597 und 1625 war die Weinernte gut ein Dutzend Mal spärlich bis schlecht ausgefallen oder war sogar gänzlich ausgeblieben. Infolgedessen entdeckten die wohlhabenderen Bürger den Apfelwein, den zuvor nur die arme Bevölkerung genossen hatte. Im 17. Jahrhundert war der Apfelwein so beliebt, dass ein bis heute gültiges Reinheitsgebot für die Apfelweinkelterei eingeführt wurde.
Ein Reinheitsgebot wird 1638 in der Ratsverordnung der Stadt Frankfurt erwähnt; 1654 wurde der Ausschank von Ebbelwei steuerpflichtig und deshalb von „Kellervisierern“ strengstens überwacht.
Holger Vonhof: Wie die Frankfurter um ihr “Stöffche” kämpfen mussten
Wegen der starken Nachfrage traten vermehrt Panscher und Betrüger auf, die ungeachtet möglicher gesundheitlicher Schäden einen Reibach machen wollten. Folglich wurden die angedrohten Strafen immer härter.
Wer Apfelwein mit Mineralien und Silberglatt verfälscht, soll ohne Gnade mit dem Strang zu Tode gebracht werden.
Apfelwein historisch
Die Verfälschung mit Vegetabilien, Rosinen, und Zuckerrüben wird mit Auspeitschung bestraft oder Zuchthaus.
Mitte des 18. Jahrhunderts erteilte die Stadtverwaltung erstmals eine öffentliche Schankerlaubnis. Keltereien und Schankwirte zahlten von nun an Steuern auf Apfelwein und mehrten so die städtischen Einnahmen. Wie die Geschichte der Apfelweinsteuer im 19. und 20. Jahrhundert weiterging und was es mit dem Keltern von Äpfeln während des Ersten Weltkriegs auf sich hatte und wie die Apfelweinlogen es schafften, die Zeit des Nationalsozialismus zu überstehen, darüber erzählen kompetente Stadtführer*innen während einer der zahlreichen thematischen Stadtspaziergänge, die im Frankfurter Raum angeboten werden. Nach einer solchen Führung weiß man, wie Äppelwoi zu Frankfurts Nationalgetränk wurde. Bei einer Verkostung aus Bembel und Geripptem lässt sich dann gesellig darüber “babbeln”. Von früher übrig geblieben ist der Brezelbub, der mit seinem Henkelkorb durch die Apfelweingaststätten zieht und dort frische Brezeln und anderes salziges Laugengebäck, den rautenförmigen Haddekuche und süße Magrönsche feilbietet.
Im Grunde könnte man Apfelweinwirtschaften als winterfeste Variante der saisonal oder tageweise geöffneten Straußwirtschaften betrachten. Wie zuvor bei Winzern und Weinbauern konnte man dort die ersten Apfelweine der Saison probieren. Apfelweinverkostungen fanden deshalb meist in Straußwirtschaften statt. Heutzutage entdecken Obstbauern im Frankfurter Umland zunehmend wieder den Reiz einer eigenen Straußwirtschaft. In provisorisch eingerichteten Räumen ist es ihnen erlaubt, ihren selbst erzeugten Apfelwein direkt zu vermarkten. Kalte Küchengerichte, regional und saisonal, runden das gastronomische Angebot ab. Weil Straußwirtschaften nicht als gastronomisches Gewerbe gelten, brauchen Betreiber für gewöhnlich keine Erlaubnis und müssen keine besonderen Auflagen erfüllen.
Allgemein wird ein Erlass Karls des Großen aus dem Jahr 812 als Initial für Straußwirtschaften angenommen. Darin wurde den Winzern der Betrieb sogenannter Kranzwirtschaften erlaubt. Diese erkannte man durch ausgehängte grüne Kränze aus Reben oder Efeu. Auch heute noch erkennt man Straußwirtschaften an den dort typischerweise drapierten Utensilien, wie Zweigen, Besen oder Kränzen. Sieht man ein solches Zeichen, weiß man, dass die Straußwirtschaft geöffnet hat. Diese besondere Gastronomie findet man europaweit in vielen Weingegenden. Entsprechend vielfältig sind die regionalen Bezeichnungen dafür. So sagt man im benachbarten Rheinhessen Straußenwirtschaft, in Württemberg Besenwirtschaft oder in der Bodenseeregion Heckenwirtschaft.
Apfelwein bleibt ein echtes Gemeinschaftsprodukt, weil viele engagierte Menschen für dessen Qualität sorgen. Zum Beispiel brauchen Apfelbäume das ganze Jahr über regelmäßige Pflege – und Äpfel sorgsame Behandlung – damit sie nach der Ernte den Winter über haltbar bleiben. Deshalb wird das Wissen um alte Obstsorten und Keltertechniken generationenübergreifend wie ein Schatz gehütet. All dies soll helfen, bei Verkostungen und Wettbewerben mittels kreativen Wagnissen, wie zum Beispiel mit Mispel, Honig oder Quitte, weiterhin viele Liebhaber*innen für den Apfelwein zu gewinnen.
Sehr wohl leisten auch andere deutsche Regionen, wie das Alte Land oder die Bodensee-Region ihren großen Beitrag zur Apfelweinkultur. Das Besondere der hessischen Apfelweinkultur beginnt jedoch schon damit, die heimischen Streuobstwiesen zu erhalten. Denn Streuobstwiesen sind biodiverse Lebensräume für mehr als 500 Apfelarten, hunderte von Pflanzenarten und mehr als 2.000 Tierarten. Apfelbäume dürfen dort in knorriger Würde altern und unterliegen keinen Haltbarkeitskriterien, wie es in vielen Obstplantagen der Fall ist. Dass Apfelweintrinker*innen zugleich auch Landschaftsschützer sind, dürfte auch die vom Auswärtigen Amt geförderte Deutsche UNESCO-Kommission e.V. überzeugt haben.
Neben dem 2014 aufgenommenen Hessischen Kratzputz an Fachwerkhäusern in der Schwalm und im Hessischen Hinterland, ist die Apfelweinkultur das zweite hessische Immaterielle Kulturerbe auf der UNESCO-Liste. Deutschlandweit rangiert diese jetzt auf der gleichen Stufe wie beispielsweise das Hebammen- und Genossenschaftswesen, die Falknerei oder der Orgelbau. International teilt man sich diesen Erfolg mit italienischem Geigenbau, kubanischer Rumba oder Yoga aus Indien.
Die Äppel-Lies’ und der alte Markt
Zu besonderen Anlässen, wie dem Museumsuferfest oder dem Altstadtfest am Tag der Deutschen Einheit, veranstaltet die KULTUROTHEK Frankfurt ihre beliebte Kostümführung, in der die Äppel-Lies den alten Markt wieder lebendig werden lässt. Im alten Frankfurt war mittwochs und samstags Markttag. Die Altstadtgassen sortierten sich wie die heutigen Supermarktgänge nach Obst, Gemüse, Milchprodukten, Fleisch und Fisch. Dort boten die vor allem die Gärtnerinnen, Hockinnen und Marktfrauen das Obst und Gemüse an, das sie im Frankfurter Umland mit ihren Familien in Gärten und auf Feldern anbauten.
Viele konnten sich keinen eigenen Markttisch leisten und boten ihre Waren auf dem Boden feil. Sie kauerten daneben, weshalb sie Hockinnen oder Hockenweiber genannt wurden. Ihre Waren transportierten sie in hohen Körben, die sie auf dem Kopf trugen. Auch die Äppel-Lies ist ein solch lautes, derbes und scharfzüngiges Hockenweib und kennt die Altstadtgassen wie ihre Westentasche. Markttage waren nebenbei auch Klatschbörsen, an denen die Hockinnen Amüsantes und Anzügliches aus dem Privatleben der feinen Frankfurter Leute erfuhren.
Über all dies erzählt die Äppel-Lies mit sichtlichem Vergnügen. Zum Schluss der Führung kredenzt sie allen Teilnehmer*innen ein “Schöppche Äppler” zusammen mit einer Brezel.
In der Regel dauert die Kostümführung eine Stunde und findet tagsüber statt. Treffpunkt ist der Stoltzebrunnen am Hühnermarkt. Der Teilnehmerbeitrag versteht sich inklusive Süßigkeiten. Termine und Barrierefreiheit erfragt man direkt bei der KULTUROTHEK Frankfurtladen. Dort kann man die Buchung direkt vornehmen, ansonsten erfolgt diese online. Zu Beginn der Veranstaltung nennt man dem Referenten vor Ort einfach Namen und Bestellnummer.
Kontakt:
KULTUROTHEK Frankfurtladen
Markt 32
60311 Frankfurt
Tel.: 069 281010
Fax: 069 281070
E-Mail: info@kulturothek.de
Internet: https://kulturothek-frankfurt.de/
Anfahrt:
- U-Bahn-Linien U4, U5
Haltestelle Dom / Römer, 3 Minuten zu Fuß - Straßenbahnlinien 11, 12
Haltestelle Römer, 3 Minuten zu Fuß - alle S-Bahn-Linien
Haltestelle Hauptwache, 4 Minuten zu Fuß
Text: rek