Eine überlieferte Chronik aus dem Jahr 857 berichtet von einer rätselhaften Plage unter der Bevölkerung von Xanten. Darin beschreibt der Chronist, dass unzählige Menschen starben, die Geplagten unter unerträglichen, brennenden Schmerzen litten und von einem inneren Feuer gepeinigt wurden. Der Volksmund nannte diese gefürchtete Epidemie Antoniusfeuer. Die Erkrankten suchten Zuflucht im Glauben (Antoniusverehrung) und Errettung in den Spitälern des Antoniterordens.
Dieser Beitrag befasst sich mit dem Antoniter-Chorherrenstift und ihrem Antoniter-Klosterhospital in Höchst am Main und nicht mit dem “Antoniterhof Frankfurt am Main” in der Antonitergasse, aus der die heutige Töngesgasse verballhornt hervorgeht. Dieser Beitrag befasst sich auch mit dem Standort in Frankfurt-Höchst, die den außerordentlichen Erfolg des Heilordens ermöglichten und ihm über lange Zeitperioden Reichtum hinweg garantierten.
Die Antoniter waren nicht nur pflegerisch, sondern auch kurativ-therapeutisch tätig. Man darf ruhig die Behauptung in den Raum werfen und sie argumentativ aufrechterhalten, dass die erste institutionalisierte Fürsorge in Deutschland auf die Antoniter zurückgeht! Der Antoniterhof, der auch Antonierhaus genannt wurde, war ein Geschenk der Frankfurter Eheleute Berthold und Geralds Bresto an das Rossdorfer Antoniter-Ordenshaus. Damit wurden die Antoniter in die Frankfurter Bürgerschaft aufgenommen und genossen deren besonderen Schutz. Den Antoniterhof, als großen Wirtschaftshof in Frankfurt, übernahm später der Kapuzinerorden. Anders als in Roßdorf und in Höchst am Main bestand in Frankfurt kein Hospital! Die Frankfurter Antoniterniederlassung diente im Wesentlichen dem Kauf und Verkauf von Waren für den Orden während der Frankfurter Messen.
Die Antoniter gehören heute zu den wenig bekannten geistlichen Gemeinschaften, trotz ehemals weiter Verbreitung und außergewöhnlich hoher Leistungspotentialität auf dem Feld der karitativen Fürsorge. Die Antoniter wurden auch Antoniusorden, Antonier oder Antonianer genannt. Seit ihrem Bestehen wurden die Mitglieder des Antoniterordens Antonier genannt, erst im Spätmittelalter wurde die Bezeichnung Antoniter vorherrschend. Alle Niederlassungen (Präzeptoreien) unterstanden dem Mutterkloster in Saint-Antoine, das 1297 in den Rang einer Abtei erhoben worden war. Ursprünglich der Betreuung von heimkehrenden Pilgern gewidmet, konzentrierte sich die Tätigkeit der Antoniter seit 1217 auf die Krankenpflege. Die Antoniter waren ein streng zentralistisch organisierter Hospital-Orden, dessen Organisationsstruktur eines mönchsritterlichen Spitalordens entsprach. Die jährlichen Almosen, die die Antoniter allen Gemeinden der abendländischen Christenheit für ihren Unterhalt und zum Bau von Hospitälern abverlangten, wurden von den Päpsten stets mit Ablässen versehen und bildeten die Grundlage für den späteren Reichtum des Ordens.
Inhaltsverzeichnis:
Eine mysteriöse Krankheit und die Antoniter
Das Antoniusfeuer
Das Hospitalwesen der Antoniter
Die Therapie der Antoniter
Was ist das Mutterkorn?
Ergotismus (Mutterkornvergiftung)
Das Klosterhospital zu Höchst
Der Quest und die Antoniterschweine
Der Niedergang der Antoniter in den deutschen Ländereien
Luther und die “ehrsamen Herren”
Eine mysteriöse Krankheit und die Antoniter
Im letzten Jahrzehnt des 11. Jahrhunderts wurden weite Teile Westeuropas häufig von einer heute vergessenen Krankheit heimgesucht, die man “ignis sacer” heiliges Feuer oder Antoniusfeuer nannte und die durch Getreide hervorgerufen wurde, das von Mutterkorn vergiftet war. Beim Antoniusfeuer handelte es sich um den sogenannten Ergotismus oder Mutterkornbrand, welcher die befallenen Menschen mit Wahnvorstellungen und unerträglichen Schmerzen quälte, die Überlebenden waren meist als Krüppel für ihr Leben gezeichnet. Die Verbindung zwischen der Mutterkornvergiftung und dem heiligen Antonius, dem Ordenspatron der Antoniter, führte zu der Krankheitsbezeichnung Antoniusfeuer (ignis sancti Antonii) für die gangränöse Form des Ergotismus, Hauptsymptom sind brennende Schmerzen bis zum Schwarzwerden der Glieder. Das Antoniusfeuer trug auch Namen wie Heiliges Feuer, Höllenfeuer, Wildes Feuer, entsprechend lateinisch „ignis sacer”, „morbus sacer”, „ignis invisibilis“, „ignis persicus“, „esthiomenus“, „pruna“ oder „mal des ardents“ und „ignis gehennae“. Auch Namen mit Bezug auf den Ordenspatron, wie St. Antons Plag, St. Antons Pein oder St. Antons Rache waren im deutschen Sprachraum üblich. Da man die Ursache nicht kannte, war eine medizinische Heilung zu dieser Zeit noch nicht möglich. So blieb für die Menschen nicht viel mehr, als sich an vertraute Heilige zu wenden. Der hl. Antonius war zunächst nur einer unter vielen, die man anrief. Aber durch eine Wunderheilung, die in seinem Namen geschah, wurde er der Wundertäter gegen diese Krankheit. Der Ort, an dem sich das ereignete, er nannte sich später Saint-Antoine und liegt in Südfrankreich ca. 40 km nordwestlich von Grenoble, wurde daraufhin das Ziel zahlreicher Hilfe suchender Pilger. Die Gebeine des heiligen Antonius wurden in dem kleinen Dorf bei Grenoble aufbewahrt. Die kleine karitative Gemeinschaft, die sich um die Hilfesuchenden kümmerte, nannten sich “Antoniusbrüder”. Ihr Erfolg sprach sich herum und innerhalb weniger Jahre hatte der Orden Niederlassungen in ganz Westeuropa und breitete sich schnell über Europa aus. Der Ansturm der vielen Menschen, die meist mittellos waren, brachte für den Ort natürlich große Probleme. Da waren es Laien aus der Umgebung, Adelige, Nichtadelige, Verheiratete und Ledige, Männer und Frauen, die sich um das Jahr 1095 zu einer Bruderschaft zusammenfanden, um den Bedürftigen zu helfen. Dabei muss man annehmen, dass zunächst nicht an eine ständige Einrichtung gedacht war. Der weitere starke Zustrom Hilfesuchender erforderte wenig später schon ein eigenes Haus, das den Namen „domus elemosinaria” (Haus des Almosens) erhielt. Durch ihre therapeutischen Erfolge entwickelte sich die Bruderschaft in einem atemberaubenden Tempo, indem schon zu Zeiten der ersten Generation weitere auswärtige Hospitäler entstanden, zunächst in Frankreich, dann aber auch in Italien und Flandern. Während ihres Wirkens zwischen dem 11. und dem 18. Jh. verfügten sie über mehr als 350 Niederlassungen in ganz Kontinentaleuropa, wie auch im Heiligen Land. Um 1200 wurden die Antoniter nach Deutschland gerufen und gründeten in Roßdorf bei Hanau ihr erstes Hospital. Im Jahr 1214 wurden die Antoniter durch Kaiser Friedrich II. zum ersten Mal in Deutschland nach Memmingen gerufen. Die freie Reichsstadt Memmingen entwickelte sich zum Zentrum, von dem aus die Ordenstätigkeit in weiten Teilen Mitteleuropas organisiert wurde, vor den anderen Niederlassungen in Deutschland. Bereits 1175 gaben sich die Ordensbrüder und Ordensschwestern als gemeinsames Zeichen das blaue Tau, das wahrscheinlich eine stilisierte Krücke der Gebrechlichen symbolisiert. Die Antoniter waren modern ausgedrückt eine Krankenhausträgerschaft, die sich ausschließlich derjenigen annahm, die am Antoniusfeuer litten oder aufgrund der Krankheit gezeichnet wurden. Ihre Alleinstellungsmerkmale unterschieden sich von allen anderen Hospitalorden, auch die bisher nahezu unbekannte Verfassungs- und Hierarchiestruktur der Antoniter. Vielleicht könnte eine interdisziplinäre wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Antoniter-Hospital in Höchst am Main wichtige unbekannte Aufschlüsse geben, für die Medizingeschichte im Allgemeinem und für die mitteleuropäische Kulturgeschichte im Speziellen.
In Roßdorf (heute ein Stadtteil der Stadt Bruchköbel im hessischen Main-Kinzig-Kreis) wurde um 1190 das erste Antoniterkloster in Deutschland gegründet. Auf Einladung der Herren und Grafen von Hanau Buchen (Herrschaftshaus Hanau) in der Gemarkung ließen sie sich in Roßdorf nieder und gründeten das erste Ordenshaus, dieses wurde zur Generalpräzeptorei, einer Art Hauptniederlassung des Ordens. Die ursprüngliche Haupttätigkeit der Antoniter war die Versorgung der heimkehrenden Jakobspilger (aus Santiago de Compostela) und die Krankenversorgung. Um das Jahr 1141 wurde die Generalpräzeptorei von Roßdorf nach Höchst am Rhein, heute Stadtteil Frankfurt-Höchst verlegt. Es ging gleichzeitig auch die Eröffnung eines Hospitals einher. Das Kloster in Roßdorf verfiel im Laufe der Zeit.
Die Antoniter-Chorherren waren keine Mönche sondern „Regularkanoniker“. Das hat einerseits damit zu tun, dass sie eine Priestergemeinschaft waren, die gegenüber einer Mönchsgemeinschaft mit vielen Laienbrüdern privilegiert war. Zum anderen wird hier die Verwandtschaft der Chorherren mit den Domherren sichtbar. Die korrekte Anrede für die Mitbrüder ist daher auch nicht „Pater“ oder „Bruder“, sondern „Herr“. Die „Stiftsherren“ widmen sich in ihrer primären Aufgabe dem seelsorglichen Dienst.
Die weitere Ausdehnung der Bruderschaft in ganz Europa verlangte allmählich nach einer festen Ordnung, die mehrfach von der Kirche dringend angemahnt wurde, sodass sich die Laienbruderschaft 1247 zunächst als Orden konstituierte. 1293 schließlich wurde Saint-Antoine zur Abtei erhoben und direkt dem Papst unterstellt und 1298 wurde die Bruderschaft von Papst Bonifatius VIII. in einen Chorherrenorden umgewandelt (Canonici Regulares Sancti Antonii). Damit war auch das Ende für die Laienschwestern gekommen, denn ein zweiter Orden für die Frauen wurde nicht gebildet. Die von den Antonitern in ganz Europa betriebenen Einrichtungen, es waren annähernd 370 Spitale in denen sie etwa 4.000 Kranke betreuten, unterstanden alle ihrem Mutterkloster in St. Antoine in Frankreich, dessen Abt der Einzige war, der Mitglieder in den Orden aufnehmen konnte.
Das Antoniusfeuer
Im Mittelalter verarbeitete man ungesiebt die ganz Ähre und damit unwissentlich auch das hochgiftige Mutterkorn. Die Krankheit verbreitete sich wie eine Epidemie, da damals für die gewöhnlichen Leute Mehlsuppe und Brot die wichtigsten Nahrungsmittel waren. Das darin enthaltene Ergotamin führte zu einer schmerzhaften Verengung der Blutgefäße und schließlich zum Absterben der betroffenen Gliedmaßen. Ohne eine erfolgreiche Amputation starb bis zu einem Viertel der Erkrankten an Blutvergiftung, die Mortalität soll sehr groß gewesen sein. Da im Mittelalter der Roggen und das daraus hergestellte Brot bis zu zwanzig Prozent Mutterkorn enthielt, brachen nach der Ernte immer wieder Mutterkornvergiftungen in verschiedenen Teilen Europas seuchenartig aus. Die Mutterkornalkaloide, aus denen LSD synthetisiert werden kann, riefen albtraumhafte Halluzinationen und Wahnvorstellungen hervor. Auf Krämpfe, epileptische Anfälle, Tobsucht und Stumpfsinn folgte bei weiterer Einnahme der verseuchten Nahrung ein qualvoller Tod.
Verantwortlich für den Erfolg waren wohl auch die vielen Jakobspilger, die aus ganz Europa ins spanische Santiago de Compostela reisten und auf ihrem Rückweg den Glauben an die Heilkräfte des hl. Antonius und seiner Bruderschaft verbreiteten. Die Adelsklasse und die Mönche der vermögenden Klöster waren seltener vom Antoniusfeuer befallen, sie ernährten sich nämlich meist von länger und trocken gelagertem Roggen, der auch bei einer Verunreinigung mit Mutterkorn relativ ungefährlich ist, weil die giftigen Alkaloide bereits weitestgehend abgebaut sind, oder sie aßen Weizen, der viel seltener mit Mutterkorn verunreinigt ist als Roggen. Auch Fleisch und Fisch standen öfters auf ihrem Speiseplan, während die arme Bevölkerung insbesondere bei zyklisch-periodisch wiederkehrenden schweren Hungersnöten von der Hand in den Mund lebte und zwar fast hauptsächlich von Roggen. In Unkenntnis der wirklichen Ursache glaubte man dann, dass die Adelsklasse und insbesondere die Angehörigen des Mönchstandes die auserwählten und besseren Menschen seien, weil Gott sie seltener mit dieser furchtbaren Krankheit strafe. Der Mutterkornbrand (Ergotismus gangraenosus) und der Mutterkornkrampf (Ergotismus convulsivus), die nach dem Genuss von Getreide auftreten, das vom Mutterkornpilz befallen ist, waren im Mittelalter häufig auftretende Krankheiten. Aufgrund der effizienten Organisation, der Spezialisierung auf diese Krankheit und der Heilungserfolge wurden den Antoniusbrüdern eine große Anzahl von Hospitälern übergeben. Die schnelle Verbreitung in Westeuropa führte zu weiteren Niederlassungen in Spanien, Italien und Deutschland. Papst Innozenz IV. (reg. 1243-1254) wandelte 1247 die Laienbruderschaft in einen Orden um, der nach der Augustinusregel lebte. Unter Papst Nikolaus IV. (reg. 1288-1292) erhielten die Antoniter das Privileg der Übernahme der Krankenpflege an der Kurie. Das mutterkornfreie Mehl und die insgesamt höherwertige Ernährung mit Schweinefleisch und Antoniterwein in den Spitälern des Antoniterordens waren der unerkannte Grund, für die immer wieder beobachteten, überraschenden und wundersamen Heilungen der Kranken.
Das Hospitalwesen der Antoniter
Im mittelalterlichen Europa wurde die Hilfeleistung und die Sorge für Arme und Kranke als elementare Aufgabe verstanden, die sich aus dem christlichen Gebot der Nächstenliebe ableiten ließ und als Gottesdienst angesehen wurde. Die Antoniter-Hospitäler waren mehr als reine Krankenhäuser, sondern zum Beispiel auch Alten-, Waisen-, und Obdachlosenheime. Die ganzheitliche, medizinisch-geistliche Sorge um die Kranken und Sterbenden stand an oberster Stelle. Unter der Oberhoheit ihres Mutterklosters St. Antoine wurden zahlreiche Niederlassungen (Präzeptoreien) mit Hospitälern in Europa eröffnet. Die 1095 in Frankreich gegründete Laienbruderschaft der Antoniter, das Stammkloster befindet sich in St. Antoine zwischen Grenoble und Valence, entstand im Kontext der Bekämpfung des sogenannten Antoniusfeuers. Die Klöster und Klosterhospitäler der Antoniter entwickelten sich im Umfeld von Städten, Dörfern und waren teil der Urbanität im Gegensatz zu den vielen Zisterzienser- und Karthäuserklöstern, die bewusst Abgelegenheit und Abgeschiedenheit bevorzugten. Die Antoniterhospitäler können aus heutiger Sicht als die Anfänge von Krankenhäusern mit erster fachlicher Spezialausrichtung angesehen werden. Durch die Konzentration der Antoniter auf die Pflege von Ergotismuserkrankten erfuhr ihre Krankenpflege eine weitere Spezialisierung und Kenntnisbereicherung. Für alle Krankeneinrichtungen der Antoniter galt nach Ablegung der Gehorsamsverpflichtung gegenüber dem Orden, dass die Kranken Unterkunft, Geld und Verpflegung auf Lebenszeit erhielten.
Die Therapie der Antoniter
Die Heilkunst des Mittelalters teilte die Krankheiten rein nach symptomatologischen und nicht nach ätiologischen Gesichtspunkten und Kategorien ein. Die Therapie der Antoniter bestand aus vier charakteristischen Behandlungssäulen: Krankenschau, giftfreies Brot, Antoniuswein, Antoniusbalsam und als letzte Option die Amputation von Gliedmaßen von Erkrankten. Im fortgeschrittenen Stadium des Ergotismus konnte dies vor Blutvergiftung und Tod retten. Außerdem war stets das Betrachten und das Vertiefen in Antoniusbildnissen und Gebete, Teil eines ganzheitlichen Therapieansatzes. Auch wirkte die Meditation, um die Patienten psychisch und seelisch zu stärken. Die Krankenheilung und die Schmerztoleranz wurde dadurch begünstigt, so wurde auch das Ertragen der Schmerzen erleichtert. Die Meditation lief wie folgt ab: Während des Hospitalaufenthaltes versenkten sich die Kranken stundenlang in die vertiefte stumpfe Betrachtung von Altarbildern, Tafelbildern, Antoniusfiguren, Heiligenbildern, um Kraft und Trost zu erlangen. Aus heutiger Sicht mag dies unverständlich und albern als Therapieansatz erscheinen, jedoch billigt sogar die psychosomatische Medizin und die moderne Psychologie solche spirituellen Krankheitsbewältigungen und spricht dem etwas Positives und Wirksames zu, weil es in einigen seltenen Fällen nachweisbar ist, den eigenen Wiedergesundungswillen von Schwerstkranken als die Quelle der Verbesserung ihres Gesundheitszustandes zu konstatieren. Die Amputation von Patienten wurde nicht von Mönchen ausgeführt, sondern von verpflichteten oder angestellten Wundärzten. Das ist ein Hinweis, dass in Höchst viele Wundärzte tätig waren und das entsprechende chirurgische Fachwissen von bestallten Ärzten vorhanden war. Schließlich wurde bereits 1215, durch das vierte Laterankonzil, die Ausübung des chirurgischen Berufs für Geistliche verboten.
1. Eingangsuntersuchung
Jeder um Aufnahme bittende Kranke wurde zunächst einer Eingangsuntersuchung unterzogen. Die penible Krankenschau von kranken Neuankömmlingen wurde von einem Ordensmönch, drei Badern und einem Kranken durchgeführt. Wurde der Patient offiziell “ignis sacer-positiv” getestet, hatte er sofort einen Anspruch auf eine lebenslange ‘all-inclusive’ Versorgung. Der Patient erhielt eigenes Essgeschirr und regelmäßig neue Kleidung, alle 14 Tage war Badetag mit Kleiderwechsel, dabei standen Brot und Wein zu Verfügung, allerdings musste der Patient seinen Besitz und sein Erbe den Antonitern überschreiben, auch die Aufnahme ins Spital war quasi ein Ordensbeitritt, denn der Patient war zu Keuschheit und Gehorsamkeit verpflichtet. Auch aufgenommene Eheleute mussten sexuell enthaltsam leben und durften den Bereich des Antonierhauses ohne Genehmigung des Präzeptors nicht verlassen. Nur eine niedrige Trennholzwand trennte die Geschlechter, wer allerdings bei sexuellen Kontakte erwischt wurde, musste mit drakonischen Strafen rechnen, mit dem Rauswurf aus dem Spital oder mit Zellenhaft. Die Tagesstrukturabläufe waren bestimmt durch kirchliche Gebetsstundentermine. Der Erfolg der Eingangsuntersuchung an den Antoniterhospitälern war ihre gewisse zuverlässige Differentialdiagnostik trotz der unterschiedlichen Fehldiagnostiken. Viele Krankheiten, die mit Hautveränderungen einhergehen, haben ein ähnliches Bild wie das Antoniusfeuer. Die eindeutigen Erkennungsmerkmale des Antoniusfeuers manifestieren sich in den einzelnen Stadien unterschiedlich, was die Diagnose beziehungsweise den Ausschluss der Mutterkornvergiftung nicht immer zweifelsfrei bestimmbar machte. Es findet sich in der heilkundlichen Literatur des Mittelalters eine Häufung von Begriffen und medizinterminologische Festlegungen, bei denen es sich um das Antoniusfeuer handeln könnte oder nicht, beziehungsweise auch für andere Krankheiten zutreffend sind. Viele Bezeichnungen für eine Krankheit sorgen für Verwirrungen, außerdem scheint es so, dass Krankheitsformen und ihre Bezeichnungen häufig untereinander auswechselbar waren und eine ganze Palette von verschieden Krankheitssymptomen einschließt. Im Mittelalter wurde mit der Begrifflichkeit des Antoniusfeuers, die verschiedensten Leiden wie Mutterkornvergiftung, Wundbrand, Altersbrand und sogar ulceröse Siphilid bezeichnet. Trotz der Begriffsverwirrungen und Symptomdurchmischungen gelang es den Antonitern als erstes, gute brauchbare differenzialdiagnotische Ansätze und Techniken zu entwickeln, und dies mit den großen Schwierigkeiten und der medizinischen Unkenntnis im Mittelalter. Die Fähigkeit, die Erkrankung mit einer hohen Sicherheit diagnostizieren zu können, lag in der Hochspezialisierung und dem Sorgfaltsbewusstsein der Antoniter, was in vielen anderen Hospizen und Spitälern und bei den anderen Hospitalorden völlig unbekannt war. Dennoch gab es Irrtümer und Fehldiagnosen. Akribischstrenge Eingangsuntersuchungen sind für das Mittelalter nur von den Antonitern und von den sogenannten Leprosorien handschriftlich überliefert. Ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal war die echte Hilfe der Antoniter für Erkrankte, die Eingangsuntersuchung der Antoniter diente teilweise auch dem Schutz vor Betrügern und Krankheitsvortäuschern, die in den Genuss des kostenlosen Heim-und Pflegeplatzes kommen wollten. Im Rahmen ihrer Spezialisierung, der Wissenskenntnisse und Erfahrungen, haben die Antoniter zuverlässige Maßnahmen entwickelt, um die tatsächlichen Ergotismuskranken unter den um aufnahmebittenden Betrügern erkennen zu können.
2. Giftfreies Brot
Die Antoniter vermuteten bereits irgendeinen Zusammenhang zwischen Brotgetreide und Krankheit, deshalb verabreichten sie den Erkrankten giftfreies Brot; dies konnte schon eine Genesung herbeiführen. Die Verabreichung von mutterkornfreiem Brot an die Kranken war der wichtigste Therapieansatz, dass es sich beim Mutterkorn um eine Pilzerkrankung des Getreides handelt, war bis 1711 nicht bekannt. Der mittelalterliche Mensch kannte die Ursache nicht und hatte keine Möglichkeit zu deren Vermeidung. Entscheidend war die einfache Tatsache, dass die Geplagten nach ihrer Aufnahme “reines Brot” aus gesiebtem Mehl zu essen bekamen, ohne Mutterkorn! Das Austeilen von Brot aus gereinigtem Mehl an Erkrankten stoppte die Vergiftungsabläufe im Körper der Erkrankten. Die Kranken in den Antoniterhäusern wurden vorwiegend mit Weizenbrot ernährt, ihr Mehl war von Mutterkorn gesäubert. Die Antoniter hatten eigene Therapieformen entwickelt: Durch qualitativ hochwertiges Dinkel-und Weizenbrot und mit Kräutern angereichertem Wein leiteten sie eine Entgiftung des Körpers ein.
Der Aberglaube, die Krankheit sei eine Strafe Gottes oder ein Zeichen des göttlichen Zorns, über die Missachtung des Gottesfriedens, wurde lange durch die abergläubischen Vorstellungen genährt, dass fromme Mönche und wohltätige Reiche nach damaligem Verständnis die besseren Menschen waren und viel seltener an Antoniusfeuer erkrankten. Die Verstümmelten wurden als ein warnendes Beispiel angesehen, Personen die an Mutterkornvergiftung litten, galten als vom Teufel oder von Dämonen besessen. Heute wissen wir das diese Vergiftungen schlicht durch den Verzehr großer Mengen von Ergotalkaloiden zustande kamen. Weizen wird viel geringer von Mutterkorn befallen als Roggen. So war es begünstigt, durch die einseitige tägliche Ernährung der Ärmeren mit Roggen eine chronische Mutterkornvergiftung zu entwickeln. Wurde der Kranke im Antoniter-Spital auf mutterkornfreie Brotkost umgestellt, konnte die Vergiftung in den meisten Fällen abklingen.
3. Antoniuswein
Der Antoniuswein, auch „Saint Vinage” genannt, bekam seine religiöse Bedeutung, weil in ihr die Antoniusreliquien am Christi Himmelfahrtfest eingetaucht wurden. Der Antonuiswein wurde innerlich und äußerlich angewendet. Die Heilkräuter, die zu seiner Herstellung genutzt wurden, dürften 15 verschiedene Heilkräuter gewesen sein und sind eindeutig zuzuordnen mit Pflanzenabbildungen, die auf dem Isenheimer Altargemälde Grünewalds dargestellt sind.
4. Antoniusbalsam
Der Antoniusbalsam war eine Salbe zur äußerlichen Anwendung bei den Erkrankten. Die brandigen Glieder, offene Wunden bei Gliederabfall und nach der Amputation der Glieder wurden mit ihr bestrichen. Der Antoniusbalsam wurde nicht in den verschiedenen Niederlassungen der Antoniter hergestellt, sondern in einem einzigen Spital, von wo man sie in Seuchenzeiten bestellen und abholen musste. Die Originalrezeptur des Antoniusbalsam ist verschollen und nur durch Rekonstruktion von neueren späteren Quellen einigermaßen erfassbar und nur einige Pflanzenteile konnten botanisch eindeutig bestimmt werden; höchstwahrscheinlich handelt es sich dabei um Klatschmohn, Ampfer, Breitwegerich, Klee und Löwenzahn. Als Salbengrundlage wurde höchstwahrscheinlich Schweineschmalz verwendet. Der Schweineschmalz verfügt über eine hervorragende Hautaufnahme, dies ist ein Vorteil für Blutstillungen und Wundheilungen.
5. Eiweißreiche Fleischnahrung
Dem Orden wurden Schweine zur Aufzucht überlassen, von einem Wurf Ferkel wurde eines dem Ordenspatron Antonius geschenkt, konnte frei herumlaufen, war durch eine Glocke gekennzeichnet, ernährte sich von den Abfällen und wurde zugunsten des Ordens geschlachtet.
6. Amputation
Die Amputationen wurden ausnahmslos von örtlichen Ärzten durchgeführt, weil es Ordensbrüdern im Priesterstand untersagt war, zu operieren. Die Füße waren dabei die meist amputierten Gliedmaßen, dies wurde oberhalb des Sprunggelenkes abgenommen. Die Amputation war für die Erkrankten nicht schmerzhaft, die gangränös gewordenen Glieder der Erkrankten waren empfindungslos. Bei weit fortgeschrittenem Krankheitsverlauf mussten Gliedmaßen amputiert werden, letztendlich ergab sich eine Trennung der Glieder vom übrigen Körper ohne Blutverlust. Nach der Amputation, dem Verlust der erkrankten Extremität tritt häufig eine vollkommene Heilung ein, der Betroffene kann als Krüppel weiterleben.
Was ist das Mutterkorn?
Das Mutterkorn ist die Überwinterungsform (Sklerotium) eines Schlauchpilzes des Pflanzenparasiten „Claviceps purpurea Tulasne”, es ist der Dauerkörper des Pilzes, der sich in den Fruchtanlagen vieler Grasgewächse entwickelt, vornehmlich Roggen befällt und violett schwarze Zapfen herauswachsen lässt.
Erst im frühen 19. Jahrhundert kam man zu der Erkenntnis, dass das Mutterkorn ein auf dem Getreide schmarotzender Pilz ist. Das Mutterkorn wurde im Mittelalter von Hebammen zur Beschleunigung der Geburt verwendet. Aus der Ähre ragt ein dunkelgefärbtes Mutterkorn, zwei bis fünf Zentimeter lang. Die hochtoxischen Mutterkorn- bzw. Ergotalkaloide, können auch von anderen Pilzarten der Familie „Claviceps purpurea” gebildet werden. Aufgrund von klimatischen Gegebenheiten in Mitteleuropa und vor allem im westlichen Teil Europas ist der Schimmelpilz „Claviceps purpurea” dort am weitesten verbreitet. Ein unscheinbarer, aber hochgiftiger Pilz. Besonders wenn der Frühsommer feucht ist, tritt der Pilz vermehrt auf. Der Mutterkorn-Pilz befällt verschiedene Gräsersorten, darunter vor allem Roggen und Triticale (eine Roggen- und Weizen-Kreuzung) seltener Weizen, Hafer, Dinkel und Gerste. Diese Getreidekulturen sind die Wirtspflanzen, die mit wichtig Nährstoffen den Mutterkornpilz versorgen.
Das Mutterkorn ist weit verbreitet, wo Roggen in dichter Fruchtfolge angebaut wird und von ungünstiger Witterung beeinflusst wird. Die Übertragungsgefahr durch das Mutterkorn kann durch anbautechnische und landwirtschaftliche Maßnahmen, wie zum Beispiel Fruchtfolge und Variationspflanzung signifikant verringert werden, wenn man beispielsweise auch Pflanzensorten wie Kartoffeln oder Mais anbaut, da der Pilz diese nicht als Wirtspflanzen parasitieren kann. So kann man auf unkonventionelle Art die Verbreitung von Mutterkorn reduzieren. Auch tieferes Pflügen der Äcker und der Einsatz von Pilzgiften kann gegen Mutterkorn vorbeugen. Die Beseitigung von Mutterkorn im Getreideanbau geschieht durch die Mühlentechnik. Zur Kornreinigung kommen mechanische Leichtkornausleser, Siebsortierer, Farbausleser und automatische optische Erkennung zur Anwendung. Diese technologischen Möglichkeiten und die intensive Reinigung von Getreide verhindert, dass Mutterkorn in die Nahrungskette gelangt. Sich heutzutage mit Mutterkorn zu vergiften, ist in Deutschland ziemlich unwahrscheinlich. Die einzig erdenkliche Möglichkeit wäre nicht zertifiziertes Getreide oder Mehl, das direkt vom Landwirt bezogen wird, zu verzehren. Wie schon erwähnt ist die stark giftige Wirkung des Mutterkorns den Ergotalkaloiden geschuldet. Der modernen Forschung sind über 50 verschiedene Ergotalkaloide bekannt. Die Protestdroge der aufbegehrenden 60er Jahre, LSD (Lysergsäurediethylamid), ist ein im Labor synthetisch hergestelltes in der Natur nicht vorkommendes Halluzinogen. Es ist ein halbsynthetisches Derivat von Ergotalkaloiden. Das Anwendungsspektrum der einzelnen Mutterkornalkaloide, die biotechnologisch hergestellt werden, sind zum Beispiel in der Medizin, zur Behandlung von Migräne oder zum Wehenmitteleinsatz.
Ergotismus (Mutterkornvergiftung)
Wegen strengen Lebensmittelkontrollen heutzutage ist der Ergotismus ein selten vorkommendes Krankheitsbild. Es gibt zwei Formen des Ergotismus, den 1.) Ergotismus gangraenosus und den 2.) Ergotismus convulsivus. 1.) Ergotismus gangraenosus: Der Mutterkornbrand (Brandseuche, Heiliges Feuer ,Antoniusfeuer) wird hervorgerufen durch die peripher muskuläre Wirkung der Mutterkornalkaloide. Bei sehr ausgeprägter Form kommt es zu Erbrechen und Durchfall, mit Schmerzen, Parästhesien, Taubheitsgefühl in den Gliedmaßen und in der Wadengegend und Rückenschmerzen. Die trophischen Störungen beginnen nach trügerischen milden Prodromalerscheinungsverläufen begleitet von psychischen Wahrnehmungsstörungen. Grundsätzlich dauert das Prodromalstadium wochenlang, es können in Ausnahmefällen schon nach wenigen Tagen die Mutterkornbrandsymptome erkannt werden. Die Haut der Gliedmaßen verfärbt sich von dunkelrot bis blauschwarz und wird letztendlich total schwarz. Die Hautepidermis füllt sich mit bläulich seröser Flüssigkeit. Der Puls im zuführenden Gefäß ist nicht mehr nachweisbar. Die Erkrankten fühlen abwechselnd heiß und kalt, die Gangränbildung geht mit unerträglichen Schmerzen einher, die vollkommen schwarz angelaufenen Gliedmaßen verlieren ihr Schmerzempfindlichkeit und sterben ab. Neben den Extremitäten können auch die Ohren, die Nasenspitzen und die Brustwarzen betroffen werden, einschließlich Verlust der Nägel, der Finger und Zehen. Die andere Form des Ergotismus, der sogenannte Ergotismus convulsivus oder Mutterkornkrampf (Krampfseuche, Kribbelkrankheit), beruht vor allem auf der Schädigung des Zentralnervensystems. Nach gastrointestinalen und vasomotorischen Störungen setzen die zentralnervösen Symptome ein: Flimmern vor den Augen, Ohrensausen, Kopfschmerzen sowie Schwindelgefühl. Herzfunktionsstörungen mit Folgen wie Zyanose, Atemnot und Erstickungsanfällen können ebenfalls eintreten. Kribbeln oder “Ameisenlaufen” verbunden mit abwechselndem Hitze- und Kältegefühl gaben der Erkrankung ihren Namen Kribbelkrankheit/Kriebelkrankheit. Es bildet sich die sogenannte Geburtshelferhand und der Rücken verkrümmt sich extrem. Auch epileptoide Anfälle und tonische Krampfanfälle mit Bewusstseinsverlust können eintreten. Gangränbildungen sind beim Ergotismus conculsivus nicht zu beobachten.
Das Klosterhospital zu Höchst
Die Patienten des Klosterhospitals in Höchst können in mehreren Gruppen eingeteilt werden. Die, die dauernd Unterkunft im Kloster hatten, zahlreiche Gesinde, Konventuale Pfründner, das sind Klosterbewohner, die mehr den Bewohnern eines gehobenen Altenheims entsprachen und die Kranken, behinderte Hilfsbedürftige, die vom Antoniusfeuer zeitlebens verkrüppelt waren. Diese Kranken fanden lebenslange Aufnahme und Versorgung im Antoniterhaus. Der eigentliche Daseinszweck des Antoniterordens war die Hilfe für die schwerverkrüppelten und damit völlig hilflosen Menschen. Im Laufe der Zeit verschwand dieser hoher Anspruch, die ursprüngliche hohe Wertschätzung gegenüber Kranken, diesen sogenannten “martyres”, denn in der Spätzeit wurden sie eine allzu große finanzielle Belastung für die Ordenskasse.
Als die Antoniter mit ihrem Konvent von Roßdorf bei Hanau nach Höchst am Main übersiedelten, erhielten sie vom Mainzer Erzbischof neben ausgedehnten Ländereien auch Liegenschaften innerhalb der Stadt, wie die Justinuskirche mit dem unmittelbar gelegenen Pfarrgut und das ehemalige Benediktinerkloster der Mönche von St. Alban. Im Konventhaus in Höchst lebten neun bis fünfzehn Chorherren. Die Antoniterchorherren betreuten die Kranken in ihren Hospitälern nur mit geistlichem Beistand, die medizinische Versorgung war angestellten Wundärzten und Krankenpflegern betraut. Die Hauptaufgabe der Antoniter bestand in der Krankenhausträgerschaft und in der Bereitstellung der für den Krankendienst notwendigen Finanzmittel. Der Antoniterorden war nicht als ein Bettelorden gegründet worden. Dennoch gaben die Päpste ihnen das Recht, zum Unterhalt ihrer Hospitäler Almosen in der ganzen christlichen Welt zu sammeln. Das Höchster Antoniter-Chorherrenhaus hat die Almosen bis zuletzt in jährlichen Fahrten (viagia) selbst eingesammelt, auch unter Einbestellung von beauftragten Ortshilfskräften. Die ausgeübte Caritas war die Rechtsgrundlage der Almosenfahrtensammlung, hierbei wurde auch die ambulante Krankenversorgung vor Ort von den Antonitern betrieben. Das brachte ihnen die Beachtung der Zeitgenossen ein, auch weil sie in ihren Hospitälern diejenigen, welche von Antoniusfeuer befallen waren, Pflege und Behandlung angedeihen ließen. Das Volk spendete ihnen reichlich und gerne. Solange wohlgesinnte Päpste das Recht, Almosen zu sammeln, “per universum mundum” immer wieder bestätigten, sicherten sie sich Einnahmen von unbegrenzten Sammelalmosen. Als im 16. Jahrhundert dieser unbegrenzten Sammelaktivität Schranken gezogen wurden, überlegten sich die Antoniter, wie sie diesen für sie verheerenden päpstlichen Erlass umgehen und ihre Pfründe sichern konnten. Aus diesem Grund ließen sich die Antoniter für ihre Sammlungen Empfehlungsschreiben durch die Diözesanbischöfe ausstellen, insbesondere im Erzbistum Mainz, wo sich zwei Generalpräzeptoreien, Roßdorf-Höchst und Grünberg, befanden. Die Erzbischöfe und Domherren veranlassten in dem verbindlichen Empfehlungsschreiben, dass die Pfarrer der Erzdiözese, die Sammlungen der Antoniter fördern und das Gemeindevolk auf den von den Pfarrern bekanntgegebenen Tag in die Kirche einzuladen haben und ihnen einen Empfang mit Glockengeläut zu bereiten und ihnen nichts abzuverlangen, was sie gesuchten und begehrten. Ungehorsame Pfarrer, welche dieser bischöflichen Anordnung nicht nachkamen, drohte Suspension und Maßregelung. Einen bestimmten festgelegten Zinsanteil mussten die Antoniter den Erzbischöfen und Domherren zukommen lassen. Der Präzeptor (Klostervorsteher) und die Konvulenten waren keine armen und bedürfnislosen Mönche. Die ohnehin großzügige Augustinerregel gestattete ihnen persönliches Eigentum und einen luxuriös zu nennenden Lebensstil, sie verlangte ihnen keinerlei Armutsgelübde ab, wie die Franziskanerregel. Demut und Mäßigung wurden kaum mehr beachtet. Das Vermögen wurde verschleudert, die Ausgaben überstiegen im zigfachen die Einnahmen. Die von außen verursachte massiven Einbrüche der Einkünfte, des trotz allem noch superreichen Höchster Antoniterklosters, führte bald auch zum sittlichen und ethischen Verfall. Konkubinen und gefallene Frauen bewohnten Tür an Tür mit den Chorherren die Klausur.
Der Quest und die Antoniterschweine
Die Arbeit in der Krankenpflege und der Erhalt von Krankenhäusern benötigte eine starke Finanzierung, der Unterhalt für die Kranken und der durchziehenden Pilger benötigte sichere Finanzierungsquellen. Die sogenannte Sammelfahrt der Antoniter ist ein genuines Charakteristikum der Antoniterorden. Mit päpstlichen Bullen und Ermächtigungen der Erzbischöfe ausgerüstet, führten die Antoniter ihre jährlichen Almosensammelfahrten (der Quest). Diese regelmäßige und nach einem strengen Zeitplan ablaufende Sammelfahrten „far” dienten nicht nur der Schutzheiligenverehrung in der Öffentlichkeit. Die Hauptaufgabe war das Einsammeln der Quest, auch „Quaestus” genannt, in den durch die Generalpräzeptoreien bestimmten und eingerichteten Sammelbezirken. Die Sammelbezirke wurden in Terminierbezirke in Balleien eingeteilt und mit dem Amt des Terminier besetzt, der die Almosensammelfahrt organisierte und die Quest eintrieb. Solche Sammeltätigkeit machte bis zu Zweidrittel der Gesamteinnahmen des Ordens aus. Alle Niederlassungen, die in einem genau begrenzten Bereich für Krankenpflege und Spendensammlungen zuständig waren, unterstanden dem Mutterkloster Saint-Antoine. Von den bis zu 41 Generalpräzeptoreien lagen Höchst am Main, Memmingen Isenheim (Elsass, Frankreich), Grünberg/Hessen, Freiburg/Breisgau und Lichtenberg/Prettin auf dem Boden des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Sie waren direkt dem Abt von Saint-Antoine-l’Abbaye unterstellt, der auch das Ernennungsrecht ausübte. Ihnen wiederum unterstanden meist Präzeptoreien, die sich nach dem Vorbild der Ritterorden in Balleien untergliederten. Im Gegensatz zu den (General-)Präzeptoreien waren die Balleien keine Ordensniederlassungen, sondern meist verpachtete Sammelbezirke, deren jeweiliger Mittelpunkt ein oft nur gemietetes “Terminierhaus” war. Solche Terminierreisen erklärten die ungeheuren Gelderträge. Eine weitere finanzielle Unterstützung für den Orden bedeuteten die Antoniusbruderschaften, in denen sich Angehörige aller Stände zur Zahlung regelmäßiger Beiträge verpflichteten.
Heute ist vor allem das Antoniterschwein bekannt. Die gewaltigen Mengen an Antoniterbalsam benötigten Schweineschmalz. Die Antoniter bekamen von der Bevölkerung Ferkel geschenkt, welchen sie eine Glocke umhängten (um sie von den Tieren der Metzger, Bäcker und Müller zu unterscheiden) und in ihre Bettelgebiete brachten. Dort wurden sie von der Bevölkerung über das Jahr hinweg gefüttert. Im Herbst kamen die Antoniter, um die Schweine, welche bis dahin schlachtreif waren, wieder abzuholen und um sie für das Kloster zu schlachten. Bedeutend waren die mit einem Ablass verbundene Quest genannte jährliche Almosensammlung. Die jährlichen Almosen, die die Antoniter allen Gemeinden der abendländischen Christenheit für ihren Unterhalt und zum Bau von Hospizen abverlangten, wurden von den Päpsten stets mit Ablässen versehen und bildeten die Grundlage für den späteren Reichtum des Ordens. Das alleinige Recht auf die Antoniusschweine gehörte nach der Order von Bonifaz VIII dem Orden und wurde im Jahr 1298 ausdrücklich päpstlich bestätigt. Auch die gewaltigen Mengen an Antoniterbalsam, die verkauft wurden, brachten immense Geldsummen ein.
Der Niedergang der Antoniter in den deutschen Ländereien
1546 und 1562 wurden laut Konzilspruch (Konzil von Trient) die Questsammlungen in katholischen Ländereien untersagt, um Missbräuche im Ablasshandel abzuschaffen. Am 17. Dezember 1776 verfügte Papst Pius VI die Inkorporation der Antoniter in den Malteserorden, jedoch zwei Antoniterhäuser, Köln und Höchst am Main, widersetzten sich dieser Maßnahme erfolgreich und behielten ihren Chorherrenordenstift. Sie verschwanden während der Säkularisation, in Köln um das Jahr 1802 und in Höchst am Rhein im Jahre 1803. Diese wurden dann während der Säkularisation aufgehoben. Damit schloss das letzte Antoniterkloster der Welt, das in Höchst, seine Pforten klanglos für immer. Es war eines der ersten Antoniterhäuser in Deutschland und das letzte Antoniterhaus. Dem Untergang der Antoniter ging ein struktureller Wegfall von Existenzeinnahmen und der allgemeine sittliche Verfall des Chorherrenordens voraus. Nicht nur die weltpolitischen Veränderungen und die großen Einschnitte der Reformation waren die einzigen Ursachen. Zudem führte die “Verbürgerlichung” der städtischen Kommunen zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert dazu, dass die Kirchlichkeit zunehmend die Hospitaladministration und Versorgung verlor. Der Grundsatz der absoluten Einheit des gesamten Ordens trug in sich Verwerfungen und negative Eigenlebensdynamiken, weil nationale Gegensätze befeuert wurden und durch das sich immer mehr herauskristallisierende Staatskirchenrecht in Spanien und in Italien, welches die Verbindung der Antoniterhäuser in diesen Ländern mit dem Mutterkloster in Frankreich schwächten. Korrupte Präzeptoreien missachteten die Ordensinstanzen und Ordenskonstitutionen, weil sie sich immer mehr Privilegien bewilligen ließen, durch die römische Kurie, wie beispielsweise die kostspielige standesrechtliche Lebensunterhaltung von Angehörigen. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts war der Niedergang unaufhaltbar. Der desolate Zustand der Präzeptoreien durch Misswirtschaft und die sträfliche Vernachlässigung der mönchisch-geistlichen Pflichten führten mit der hinzukommenden undurchsichtigen Personalpolitik, die von Pfründenanhäufungen, materieller Gier und der Ernennung von ordensfremden inkompetenten Personen gekennzeichnet war, dazu. Die Antoniterklöster verloren allmählich ihre Vorrechte, wie eine Güterbefreiung und das Holzeinschlagsrecht in den herrschaftlichen Wäldern. Durch das Entdecken des Zusammenhangs zwischen dem mit Mutterkornpilz befallenen Getreides und dem Antoniusfeuer wurden die Krankheitsfälle weniger. Infolgedessen ging die Bedeutung des Ordens stark zurück. Nach dem Dreißigjährigen Krieg kam steigender Wohlstand hinzu und veränderte Essgewohnheiten, die Kartoffel wurde zu einem Grundnahrungsmittel und das führte allmählich zum weitestgehenden Verschwinden des Antoniusfeuers. Das Verschwinden einer Krankheit, auf dessen Heilung sich die Mönche spezialisiert hatten, war ein weiterer Grund für die Auflösung des Ordens in Deutschland.
Luther und die “ehrsamen Herren”
Einer der bekanntesten Antonitermönche war der Theologe und Reformator Martin Luther. In seinen Tischreden behandelt Luther das Antoniterkloster Lichtenberg als Negativbeispiel, höchstwahrscheinlich waren auch die Zustände in dem Antoniterkloster Höchst am Main nicht anders, da der Konvent sich am Ablass bereichert hat:
„Zu Liechtenberg verwundert sich D. Mart[inus] des grossen Guts und herrlichen Gebeude der Antonies Herrn, also das zu dieser Zeit mit drey Thonnen Goldes schwerlich zu enden were […].“
Martin Luther: Tischreden, Eisleben 1566, 364v
Das Antoniter-Klosterhospital existierte baulich bis 1980 auf dem Grundstück Bolongarostraße 145. Ein einmaliges Zeugnis der europäischen Ordensbaukunst und das älteste Krankenhaus der Rhein-Main Region ging durch die spekulationsgetriebenen Interessen des Eigentümers und durch das behördliche Versagen unwiederbringlich verloren.