Wohnungsnot und Hausbesetzungen heute

FAZ Baustelle Gallus
Foto: GFFB

Einige werden sich an die Hausbesetzungen und den Häuserkampf in Frankfurt Anfang der 1970er Jahre erinnern. Misslungene Immobilienspekulationen und zu hohe Mieten führten zu Leerstand von dringend benötigtem Wohnraum. Doch wie sieht es in der heutigen Zeit mit Wohnungsnot und aktuellen Hausbesetzungen in Frankfurt aus?

Nicht nur verbal, auch mit Demonstrationen und Hausbesetzungen machten in den 1970er Jahren Aktivisten der Hausbesetzerszene die Öffentlichkeit auf den akuten Wohnungsnotstand und riskante Immobilienspekulationen aufmerksam. Als Antwort darauf veranlassten die Immobilieneigentümer der besetzten Häuser Zwangsräumungen durch die Polizei. Dies führte zu Häuserkämpfen mit den Hausbesetzern und machte das akute Missverhältnis zwischen Wohnungsbedarf und Wohnungsangebot in Frankfurt besonders deutlich. Bis heute ist fehlender und bezahlbarer Wohnraum eine gesellschaftliche Herausforderung. So berichtete im Dezember 2022 die Frankfurter Neue Presse von der Besetzung des Wohnhauses in der Günderroderstraße 5 im Gallusviertel durch Aktivisten des Kollektivs Freiräume statt Glaspaläste.

Die Hausbesetzung im Gallusviertel

Wie bereits die Hausbesetzer in den 1970er Jahren, forderten auch 2022 die Hausbesetzer der Günderroderstraße 5, dass Wohnraum nicht als Spekulationsobjekt missbraucht werden darf. Zur Verdeutlichung ihrer Botschaft hielten sie das Gebäude vom 03. Dezember 2022 bis zum 12. Mai 2023 besetzt. Kurz nach der Besetzung erfolgte der erste Schreck, als das Haus von der Polizei umstellt wurde. Diese blies die Räumung des Gebäudes allerdings ab, da kein Eigentümer oder Mieter gefunden werden konnte, der einen Strafantrag gestellt hatte. Einige Tage darauf, am 14. Dezember 2022, wurde im Gallusviertel ein erfrorener Obdachloser aufgefunden. Möglicherweise war dies für die Hausbesetzer ein Auslöser, die Räume im besetzten Haus Personen ohne Wohnsitz zur Verfügung zu stellen, damit diese im Winter nicht das gleiche Schicksal ereilte. Dazu hatte das Kollektiv die Wohnungen mit Schränken, Betten und Küchengeräten ausgestattet, um es für die Bewohner noch wohnlicher zu machen. Während dieser Zeit machte sich das Wohnkollektiv dafür stark, dass bei Sanierung oder Neubau von Wohnungen eine ausreichende Anzahl an bezahlbaren Sozialwohnungen gebaut und gefördert werden. Dadurch wollte man einer Verdrängung durch Luxus- und Mittelstandswohnungen entgegenwirken.

Forderungen des Kollektivs Freiräume statt Glaspaläste

  • Grundbedürfnisse dürfen kein Spekulationsobjekt sein, besonders in Zeiten der Krise und Inflation.
  • Wir sagen: Häuser denen, die drin wohnen – gegen Luxus- und Mittelstandsverdrängung im Gallus, gegen jede Zwangsräumung!
  • Mindestens 60% Sozialwohnungen im Förderweg 1 für das Projekt “Hellerhöfe”
  • Die Zusicherung von Wohnraum im Neubauprojekt für alle hier verdrängten Personen und eine bis dahin lebenswerte Übergangslösung.
  • Ermöglichung kostenfreier Zwischennutzung durch wohnungslose Personen für die Zeit des Leerstands bis zum Abriss.
  • Alle leerstehenden und bezugsfertigen Gebäude in Frankfurt als kostenfreien Wohnraum, besonders für bedürftige Menschen und ihre Familien zur Verfügung zu stellen.
  • Kein Abstellen von Strom und Gas aufgrund von Zahlungsunfähigkeit sowie ein allgemeiner Zwangsräumungsstop.
  • Abstimmung über den Frankfurter Mietentscheid.
  • Verpflichtung zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum für alle.
  • Wohnung darf kein Luxus sein!
  • Die Häuser denen die drin wohnen!
  • Zwangsräumungen verhindern, Gentrifizierung stoppen!
Quelle: de.indymedia.org

Die Reaktion der FAZ

Anders als in den 1970ern wurde seitens der FAZ von einer Räumung abgesehen. Statt dessen stimmte die FAZ zusammen mit dem damaligen Mieter, der Gesellschaft KEG, einem Gestattungsantrag zu, der von den für die Besetzung verantwortlichen Gruppen gestellt wurde. Das waren die ADA-Kantine, Project Shelter und Freiräume statt Glaspaläste. Die Gestattung war bis zum 30. April 2023 gültig und wurde einmalig bis zum 12. Mai 2023 verlängert. Am 11. Mai 2023 demonstrierten mehr als hundert Menschen für den Erhalt des Wohnprojekts im Gallusviertel, jedoch ohne Erfolg.

Zu den Hintergründen

Die FAZ hatte als Eigentümerin des Gebäudes Günderroderstraße 5 die Räumlichkeiten im Jahre 2003 an die Grundstücksgesellschaft KEG weitervermietet. Die KEG wiederum hat diese Räume der Evangelischen Wohnraumhilfe als Wohnraum für sozial Bedürftige zur Verfügung gestellt. Diese Mietverträge waren jedoch bis zum 31. Dezember 2022 befristet. Bis dahin würden alle Mietparteien ausziehen müssen. Jedoch hat die FAZ bereits frühzeitig Räumungsklagen an die Betreffenden geschickt, was im Stadtrat für “Unverständnis und Entsetzen” gesorgt hatte.
Inzwischen sind alle Mieter ausgezogen, und das Haus ist abgerissen worden. Auf dem freiwerdenden Gelände will die Stadt Frankfurt eine vierzügige Grundschule samt Sporthalle bauen. Zusätzlich soll auf dem umgebenden Gelände neuer Wohnraum geschaffen werden, doch davon sind nur 15 Prozent als Sozialwohnungen geplant. Im Gegensatz dazu werden von den Aktivisten 60 Prozent gefordert.

Einen interessanten Beitrag der Hessenschau zu dieser Hausbesetzung gibt es hier. Journal Frankfurt berichtete am 05. Dezember 2022 über die Hausbesetzung.

Die Nachbargebäude der FAZ

Besitzer des betreffenden Grundstückes mitsamt Wohnhaus und der Nachbargebäude ist die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). Entsprechend ihrer Pläne werden die verbliebenen Nachbargebäude abgerissen, darunter die ehemaligen Verlagsgebäude der FAZ und der Frankfurter Neuen Presse (FNP). An ihre Stelle soll das Quartier Hellerhöfe mit 650 Mietwohnungen treten. Davon sollen 30 Prozent staatlich geförderte Sozialwohnungen werden. Dazu kommen eine Grundschule und zwei Kitas. Laut FR gibt es im umliegenden Areal zur Zeit nur 47 Wohneinheiten. Im neu geplanten Wohnquartier entstünden nach aktuellem Planungsstand 506 Wohnungen, davon rund 177 geförderte Wohneinheiten. Dazu gehört ein 50 Meter hohes Hochhaus, das als Holzhybridbau geplant ist. Auf diese Weise will man eine Verdrängung durch Luxus- und Mittelstandswohnungen vermeiden. Als eigenen neuen Standort wählte die FAZ das nahegelegene Europaviertel, während die Frankfurter Rundschau und die FNP nach Sachsenhausen ziehen.

Die Zukunft der Hausbesetzer

Die vom Abriss betroffenen Hausbesetzer – inzwischen ein von der FAZ geduldetes Wohnkollektiv, etwa 40 an der Zahl – dürfen auf ein ehemaliges Betriebshofgelände an der Palleskestraße in Frankfurt-Höchst umziehen. Die Frankfurter Baudezernentin Sylvia Weber (SPD) ermöglichte allen Beteiligten des Wohnprojektes einen übergangslosen Umzug in eine neue Immobilie. Es handelt sich um frühere Wohn- und Bürogebäude des Betriebshofs der Frankfurter Entsorgungs- und Service GmbH (FES) und des Straßenbauamts Höchst. Bevor die Personen umziehen konnten, musste die neue Immobilie saniert und die Übergabe vom Magistrat abgesegnet werden. Am 04. Juni 2023 war es dann so weit, dass das Wohnkollektiv einziehen konnte. Laut Baudezernentin Sylvia Weber im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau können die dortigen Räumlichkeiten maximal ein Jahr lang genutzt werden. Danach zieht das Wohnprojekt wahrscheinlich in den Stadtteil Ostend um. Bis dahin freuen sich die Bewohner, dass sie nicht auf die Straße zurück müssen, wie in der offiziellen Pressemitteilung nachzulesen ist.

Selbstverwaltete Freiräume in Frankfurt 

Die „Au“ in Rödelheim   

Zu den besetzten Immobilien der sogenannten zweiten Welle des Häuserkampfes in Frankfurt zählt das 1983 besetzte Gebäude samt Grundstück, “In der Au 14 – 16″ in Frankfurt Rödelheim. In der alten Villa befindet sich bis heute ein autonomes Wohn- und Kulturzentrum. In Frankfurt ist es die einzig verbliebene besetzte Immobilie aus den 80er Jahren. Gleichzeitig gilt sie mit 40 Jahren als das am längsten besetzte Haus Deutschlands. Es ist Kulturzentrum, in dem Punk-Konzerte stattfinden, und Wohnprojekt in einem. Der weitläufige Garten des Grundstücks dient als Stellplatz für Bauwagen, die ebenfalls bewohnt werden. Jeden Donnerstag wird „leckeres Essen für den schmalen Geldbeutel“ serviert, denn die ‘Volxküche’ versorgt die Bewohner mit mal vegetarischen, mal veganen Speisen. Die Besetzer müssen an den Eigentümer, die Stadt Frankfurt, nur die Nebenkosten zahlen (Quelle).

Fotos: Moritz Hamann, „AU” Kunst und Eingang

Polizeigefängnis „Klapperfeld“

Ein weiteres Beispiel für besetzte Immobilien in Frankfurt ist das ehemalige Jugendzentrum in Bockenheim. Es wurde am 01. August 2008 von der Initiative Faites votre jeu besetzt, die größtenteils aus Frankfurter Studierenden bestand. Im Zuge einer angedrohten Räumung des besetzten Jugendzentrums im Jahr 2008 bot die Stadt Frankfurt als Alternativobjekt das ehemalige Polizeigefängnis Klapperfeld an. Das Gefängnis, benannt nach seiner Adresse, Klapperfeldstraße 5, war von 1886 bis 2002 in Betrieb und stand danach leer. Seit ihrem Umzug im Jahre 2008 nutzt die Initiative Faites votre jeu das Gebäude als „Autonomes Zentrum“. Es dient seitdem als selbstverwalteter Raum für Politik, Kultur und Geschichtsarbeit, und wird von der Stadt Frankfurt finanziell unterstützt.

Foto: Jku, Polizeigefängnis Klapperfeld Eingang und Rückseite

Besetzung der Dondorf-Druckerei in Frankfurt-Bockenheim

Wie die Frankfurter Rundschau (FR) berichtete, wurde die ehemalige Dondorf-Druckerei am 24. Juni 2023 von Beteiligten mehrerer Initiativen besetzt. Die Aktion fand während des Open-Air-Festivals Räume für alle statt. Durch die Besetzung sollte der Abriss des historischen Gebäudes verhindert werden. Bereits zuvor lehnte der Ortsbeirat 2 laut FR den Abriss der Druckerei mehrheitlich ab. Nur einen Tag nach der Besetzung ließ die Polizei am 25. Juni verlautbaren, dass keine Räumung von Seiten des Eigentümers geplant sei. Es wurden keine Einwände gegen den Aufenthalt der Initiativen im Gebäude erhoben. Dennoch wurde das Gebäude am 12. Juli 2023 geräumt und an Verantwortliche der Goethe-Universität übergeben.

Fotos: Moritz Hamann, besetzte Dondorf-Druckerei
Fotos: Moritz Hamann, besetzte Dondorf-Druckerei

Project Shelter und ada kantine

Project Shelter setzt sich seit Jahren für immigrierte Obdachlose und Geflüchtete in Frankfurt ein. Die Arbeit der Beteiligten besteht vor allem darin, Wohnraum zu vermitteln. Laut TAZ ist bereits im Dezember das Kollektiv Freiräume statt Glaspaläste auf Project Shelter zugegangen. Das Gleiche gilt für die ada kantine. Sie bietet viermal wöchentlich kostenlose Mahlzeiten in der ehemaligen Kantine der Akademie der Arbeit in Frankfurt Bockenheim an. Das Projekt bezeichnet sich selbst als „solidarische Küche“ und verarbeitet ausschließlich gespendete Lebensmittel. Innerhalb dieser zwei Projekte kümmern sich So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen um das Wohlergehen der Hausbesetzer.

Wohnraummangel im gegenwärtigen Frankfurt

Die Entwicklung der Stadt durch Bürgerbeteiligung erhielt durch den „Frankfurter Häuserkampf“ entscheidende Impulse. Schon damals ging es darum, den Bau von Bürogebäuden zu verhindern, um mehr sozialen Wohnraum zu schaffen.

Wohnhäuser, die durch Hausbesetzung und Proteste Wohnzwecken zugeführt wurden:

  • Bockenheimer Landstraße 94/96
  • Bockenheimer Landstraße 111/113 und Schumannstraße 69/71 (der „Block“)
  • Eppsteiner Straße 47
  • Freiherr-vom-Stein-Straße 18
  • Ginnheimer Landstraße 181
  • Guiollettstraße 56
  • Heidestraße 11/13
  • Leipziger Straße 3
  • Niedenau 46, sowie Zimmerweg 13, 15 und 17
  • Niedenau 51
  • Niedenau 57
  • Niedenau 59
  • Schubertstraße 27
  • Siesmayerstraße 3
  • Siesmayerstraße 6
  • Ulmenstraße 18

    Eine Studie des Frankfurter Immobilien- und Beratungsunternehmens Immoconcept stellt fest, dass die Kosten für Wohnraum in Frankfurt rund 36 Prozent über dem Wert von vor zehn Jahren liegen.

Jan Kunder (Jku), Michael Baur (mba), Moritz Hamann (mha)

Schlagwörter: