Skytower der Europäischen Zentralbank und Großmarkthalle Frankfurt: Architektur, Geschichte und Zukunft im Ostend
Im Frankfurter Ostend treffen zwei große Visionen aufeinander. Die eine stammt aus den 1920er-Jahren, als Frankfurt mit der Großmarkthalle einen der damals modernsten Versorgungsbauten Europas erhielt. Die andere ist die Idee eines vereinten Europas mit einer eigenen Währung, die sich im Hauptsitz der Europäischen Zentralbank (EZB) manifestiert. Heute bilden diese beiden Bauwerke ein einzigartiges Ensemble, das Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Stadt und Europas miteinander verbindet.
Die Großmarkthalle: Frankfurts Aufstieg zur Metropole
Als Martin Elsaesser, der damalige Stadtbaudirektor, in den 1920er Jahren die Großmarkthalle plante, verfolgte er ein klares Ziel: Er wollte Frankfurt zu einem zentralen Handelsplatz für Obst und Gemüse machen. Zwischen 1926 und 1928 entstand so ein Bauwerk, das mit seiner stützenfreien Eisenbetonkonstruktion weltweit Aufsehen erregte. Die Halle war 220 Meter lang, 50 Meter breit und bis zu 23,5 Meter hoch. Mit ihrem Einzugsgebiet von 200 Kilometern diente sie als Versorgungszentrum für die gesamte Region und prägte den Aufstieg Frankfurts zur Metropole der Weimarer Republik.
Die Großmarkthalle beeindruckte nicht nur durch ihre Größe, sondern auch durch ihre innovative Bauweise. Elsaesser setzte auf eine freitragende Eisenbetonkonstruktion, die den Innenraum ohne störende Säulen überspannte. Damit schuf er die größte stützenfrei überspannte Halle der Welt. Die „Gemüsekirche“, wie sie im Volksmund genannt wurde, wurde zum Symbol für Fortschritt und städtische Entwicklung. Bis 2004 diente sie als Handelsplatz, bevor der Großmarkt in ein neues Frischezentrum im Nordwesten Frankfurts umzog.
Bereits 1972 stellte die Stadt Frankfurt die Halle unter Denkmalschutz. Sie erkannte damit ihren Wert als herausragendes Beispiel klassischer Moderne und als technisches Meisterwerk an. Nach dem Umzug des Marktes begann eine neue Phase in der Geschichte der Großmarkthalle, die schließlich in die Planung des EZB-Neubaus mündete.
Die EZB: Eine europäische Institution sucht ihr Zuhause
Mit dem Vertrag von Maastricht legten die EU-Staaten 1992 fest, dass Frankfurt Sitz der künftigen Europäischen Zentralbank werden sollte. Die EZB wurde 1998 gegründet und bezog zunächst gemietete Büroräume im Eurotower am Willy-Brandt-Platz. Doch schon bald zeigte sich, dass ein eigener, repräsentativer Hauptsitz notwendig war. Die Bank folgte damit auch einer Empfehlung des Europäischen Rechnungshofs, der langfristig eigene Gebäude für europäische Institutionen als wirtschaftlicher ansah.
Die Suche nach einem geeigneten Standort begann 1998 und umfasste 35 verschiedene Grundstücke in Frankfurt. Im Jahr 2001 entschied sich die EZB schließlich für das innenstadtnahe Areal der ehemaligen Großmarkthalle im Ostend. Damit fiel die Wahl auf einen Ort, der Tradition und Zukunft symbolisiert. Die Stadt Frankfurt verkaufte das Gelände an die EZB und schuf so die Grundlage für ein einzigartiges Bauprojekt.
Der Büroturm: Vertikale Stadt für Europas Währungshüter
Südlich der Großmarkthalle ragen zwei polygonale Hochhausscheiben in den Himmel. Sie gruppieren sich um ein verglastes Atrium, das als „vertikale Stadt“ konzipiert ist. Der nördliche Turm zählt 45 Stockwerke, der südliche 43. Im 41. Stock liegt die höchste Büroetage, darüber befinden sich Technikgeschosse. Die Verbindungsebenen im Atrium erinnern an Plätze sowie Straßen einer Stadt und fördern die Kommunikation zwischen den Mitarbeitenden.
Die Büros liegen entlang der Außenfassaden. Auf jedem Stockwerk gibt es Teeküchen und Kommunikationsflächen. Die flexible Organisation der Räume ermöglicht verschiedene Büroformen – von Einzelbüros bis zu Großraumeinheiten. Insgesamt bietet der Turm Platz für bis zu 2.900 Arbeitsplätze. In den oberen Etagen befinden sich der Sitzungssaal des EZB-Rats und die Büros der Führungsgremien.
Die Großmarkthalle: Vom Markt zur Begegnungsstätte
Die Großmarkthalle blieb in ihrem äußeren Erscheinungsbild weitgehend erhalten. Im Inneren schufen die Architekten ein „Haus im Haus“-Konzept: Sie stellten schräg angeordnete Einbauten in die Halle, die heute halböffentliche Funktionen der EZB aufnehmen. Dazu zählen ein Besucherzentrum, die Lobby, eine Cafeteria, Konferenzräume und ein Mitarbeiterrestaurant. Die Einbauten lassen den monumentalen Innenraum der Halle weiterhin erlebbar erscheinen, während sie gleichzeitig neue Räume und Sichtachsen schaffen.
Architektur und Nutzung: Drei Bausteine, ein Ensemble
Der Entwurf von COOP HIMMELB(L)AU besteht aus drei Hauptbestandteilen: der sanierten Großmarkthalle, dem gläsernen Büroturm und einem neuen Eingangsbauwerk. Zusammen bilden sie ein Ensemble mit einer Bruttogeschossfläche von etwa 185.000 Quadratmetern.
Das Eingangsbauwerk: Bindeglied und Schaufenster
Das Eingangsbauwerk an der Sonnemannstraße bildet das gestalterische und funktionale Bindeglied zwischen Großmarkthalle und Büroturm. Mit seinen schrägen Fassaden und großen Fensterflächen markiert es den Haupteingang der EZB. Hier befindet sich auch der zweigeschossige Pressekonferenzraum, von dem aus die wichtigsten Entscheidungen der EZB in die Welt hinausgetragen werden. Über der Lobby liegen temporäre Arbeitsplätze für Journalisten.
Städtebauliche Bedeutung und Integration
Der neue EZB-Komplex erweitert die Frankfurter Hochhauslandschaft nach Osten. Die langgestreckte Großmarkthalle und der aufragende Büroturm bilden zusammen einen neuen Blickfang in der Stadtsilhouette. Das Ensemble verbindet das Ostend mit dem Mainufer und schafft ein wichtiges Bindeglied zwischen den Stadtteilen. Die Ausrichtung des Atriums auf die Bankentürme im Stadtzentrum betont die Verbindung zur Frankfurter Skyline.
Auch die Erschließung des Geländes ist durchdacht. Besucher*innen gelangen über die Sonnemannstraße in den Komplex, Mitarbeitende nutzen die neu angelegte Mayfarthstraße und die Tiefgarage. Für Lieferungen gibt es eine eigene Zufahrt zum unterirdischen Ladehof. Die Umnutzung des 12 Hektar großen Areals trägt zur Stadterneuerung bei: Wo früher LKWs parkten, erstrecken sich heute Grünflächen, Parks und Wege, die das Ostend aufwerten und eine „grüne Lunge“ für die Stadt schaffen.
Nachhaltigkeit und Energieeffizienz
Die EZB legte bei ihrem Neubau großen Wert auf Nachhaltigkeit. Das Energiekonzept kombiniert verschiedene Maßnahmen, um den Energie- und Trinkwasserverbrauch deutlich zu senken. Im Vergleich zur Energieeinsparverordnung von 2007 verbraucht das Gebäude 30 Prozent weniger Energie. Dazu tragen unter anderem moderne Dämmungen, effiziente Heiz- und Kühlsysteme sowie die Nutzung von Regenwasser bei.
Die Grünflächen rund um das Gebäude, der nahe Hafenpark und der Mainuferpark fördern die Artenvielfalt und verbessern das Stadtklima. Damit setzt die EZB ein Zeichen für nachhaltige Stadtentwicklung und ökologische Verantwortung.
Herausforderungen der Sanierung und Integration
Die Umnutzung der Großmarkthalle stellte die Architekten und Bauherren vor große Herausforderungen. Sie mussten die denkmalgeschützte Bausubstanz erhalten, gleichzeitig aber neue Funktionen integrieren. Alle Eingriffe erfolgten in enger Abstimmung mit den Denkmalschutzbehörden und auf Grundlage intensiver Untersuchungen des Bestands. Die Sanierung erforderte größte Sorgfalt, um die historische Substanz zu bewahren und gleichzeitig moderne Anforderungen zu erfüllen.
Bedeutung für das Ostend und die Stadt Frankfurt
Mit dem Bau der EZB veränderte sich das Ostend grundlegend. Der Stadtteil wandelte sich vom Industrie- zum Dienstleistungsstandort. Die Präsenz der EZB zog weitere Unternehmen, Dienstleister und Gastronomie an. Gleichzeitig entstand ein neues städtebauliches Wahrzeichen, das Frankfurt als „Stadt am Fluss“ neu definiert.
Das Ensemble aus Großmarkthalle und EZB-Turm steht heute für den Aufstieg Frankfurts zur europäischen Metropole. Es verbindet Geschichte und Zukunft, lokale Identität und internationale Bedeutung. Die Integration der Großmarkthalle zeigt, wie denkmalgeschützte Bauten in moderne Stadtentwicklung eingebunden werden können.
Fazit: Ein Symbol für Europa und die Stadt
Der neue Hauptsitz der Europäischen Zentralbank im Frankfurter Ostend ist weit mehr als ein Bürogebäude. Er ist ein architektonisches Statement, ein Symbol für europäische Einheit und wirtschaftliche Stärke. Die Verbindung von Großmarkthalle und Büroturm steht für den Dialog zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen lokaler Identität und globaler Verantwortung.
Mit seiner nachhaltigen Bauweise, der innovativen Architektur und der städtebaulichen Integration setzt das Ensemble Maßstäbe für die Entwicklung moderner Metropolen. Die EZB und die Großmarkthalle prägen das Bild Frankfurts und Europas – heute und in Zukunft.
Ein MJP Artikel
Kreative Leitung: Jku
Text: MJP
Gestaltung: Jku
Bilder: DaN




