Schrecklich schöne Aussichten

Schrecklich schöne Aussichten

Zum 25-jährigen Jubiläum zeigt das Museum Giersch die Ausstellung Solastalgie, in der Werke der familieneigenen Sammlung mit zeitgenössischer Kunst in Verbindung gebracht werden. Thema ist das zwiespältige Verhältnis des Menschen zur Natur in der Zeit des Klimawandels.

Drei harmlos wirkende, dunkel schimmernde Vasen stehen unauffällig beieinander. Ihre formale Strenge und die unterschiedlichen Größen erwecken den Eindruck archäologischer Objekte – wertvoller Zeugnisse vergangener Kulturen, die hier aufbewahrt werden. Doch weit gefehlt. Die getöpferten Schönheiten sind gerade mal zehn Jahre alt und bestehen aus schwarzem Steingut radioaktiver Bergbauabfälle, entstanden beim Abbau Seltener Erden.

„Die Kombination aus traditioneller Keramik und gefährlichem radioaktivem Material macht die Verbindung zwischen jahrtausendealter Kultur und den Schattenseiten der digitalen Gegenwart sichtbar“, berichtet der SWR. Die Größe der Gefäße entspricht dabei dem Volumen des Abfallmaterials, „das bei der Gewinnung Seltener Erden für die Herstellung eines Handys, eines Laptops oder einer Autobatterie anfällt“, so die Fachzeitschrift Kunstforum online. Die toxischen Vasen mit dem Namen Rare Earthenware wurden in Zusammenarbeit mit dem Keramiker Kevin Callaghan und dem Design Studio Unknown Fields entwickelt, das sich aus wechselnden Vertretern aus Architektur, Design und Forschung zusammensetzt. Ihr Ziel ist es, Umweltzerstörung nicht nur zu dokumentieren, sondern sie erfahrbar zu machen.


Heimweh nach Natur

Museumsdirektorin Ina Neddermeyer / Foto: MGGU

Bis Mitte Februar 2026 greift die Frankfurter Ausstellung „Solastalgie. Spaziergänge durch veränderte Landschaften“ dieses Thema auf und hinterfragt unser gespaltenes Verhältnis zur Umwelt. Die spätklassizistische Villa des Museums Giersch der Goethe-Universität (MGGU) bietet genügend Platz für die drei schrecklich-schönen Vasen und für viele weitere Naturkunstwerke. Ina Neddermeyer, die Museumsdirektorin, zieht in einer Mitteilung (Download PDF, 375 MB) des MGGU ein Fazit: „Die Ausstellung zeigt eindrücklich nicht nur die ästhetischen, sondern auch gesellschaftspolitische Dimensionen von Landschaftsbildern. Im Zentrum steht die Frage, wie sich unser Verhältnis zur Natur gewandelt hat.“

„wandelbar, fragil und verbindend“

„Sieben zeitgenössische Künstler*innen eröffnen neue Blickwinkel auf das Spannungsfeld zwischen Ästhetik, Wandel und Hoffnung. So wird Solastalgie zu einem sinnlichen Spaziergang durch Zeiten, Medien und Perspektiven – ein Erleben von Landschaft als wandelbar, fragil und verbindend“, erklärt die MGGU in ihrer Pressemitteilung. Die sechs weiteren sind:

Mit seinem Kunstwerk Root Sequence. Mother Tongue bringt Asad Raza insgesamt 26 lebende Bäume ins Museum. Der New Yorker Künstler sieht die Bäume nicht als Objekte, sondern als Akteure eines lebendigen Netzwerks. Nach der Ausstellung sollen sie dauerhaft auf dem Campus der Goethe-Universität eingepflanzt werden.

Der Schweizer Marcus Maeder dokumentiert das Zusammenleben von Menschen, Tieren und Pflanzen mithilfe von Wildkameras und Audiorecordern. Aus den Aufnahmen kreiert er eindringliche Klanglandschaften. In seiner Arbeit Spreepark Multispezies Bau setzt er sich mit dem ungenutzten Areal eines Berliner Freizeitparks als urbanem Biotop auseinander.

Die Installation „A veces hay que tropezar dos veces con la misma piedra“ – übersetzt: manchmal muss man demselben Stein zweimal begegnen – der kolumbianischen Künstlerin Andrea Acosta zeigt industrielle Fragmente, die die Zerbrechlichkeit und die kulturelle Konstruktion von Natur thematisieren.

Tatiana Vdovenko aus Offenbach jagt mythischen Wasserwesen nach und stellt die Landschaften Irlands dar. In ihrer Serie Waterlines behandelt sie unter anderem die Flut im Ahrtal 2021, wobei auf ihrer Fotografie lediglich der schmale Balken des Wasserspiegels zu sehen ist.

Ilana Halperin, eine Künstlerin aus New York, verbindet in ihren Aquarellen und Kunstobjekten geologische Abläufe mit individuellen Narrativen.

Und der japanisch-US-amerikanische Aktionskünstler Ei Arakawa-Nash aktualisiert Gustave Courbets Gemälde Bonjour Monsieur Courbet aus dem Jahr 1854 auf seine ganz eigene Weise.

Eine Einladung zum Spaziergang

Das Museum am Mainufer wurde im Jahr 2000 von der Stiftung Giersch des Frankfurter Unternehmers Prof. Carlo Giersch und seiner Frau Karin unter dem Namen Haus Giersch – Museum Regionaler Kunst eröffnet, bevor es im Jahr 2005 in Museum Giersch umbenannt wurde. 14 Jahre später ging es zum Anlass des 100-jährigen Bestehens der Goethe-Universität für die nächsten 30 Jahre an die Frankfurter Goethe-Universität über. Seitdem trägt es den Namen Museum Giersch der Goethe-Universität.
Zum 25-jährigen Jubiläum lädt das Museum nun zu einem „Spaziergang“ ein, der zahlreiche Werke zum Thema Umwelt, deren Zerstörung, die Forschungen und die aktuelle Kunst präsentiert. Interessierte können sich ihren eigenen Weg durch das Museum suchen und dabei zeitgenössische sowie historische Perspektiven auf heile und beschädigte Landschaften betrachten, ebenso wie die Aussicht auf den nebenan gemächlich fließenden Main. Die Umgebung könnte nicht kontrastreicher sein.


Der Name ist Programm

Es kann Verunsicherung hervorrufen, verfolgt man den zunehmenden Wandel unserer Umwelt. Drum ist der Titel der Ausstellung wohlgewählt: Solastalgie. Geschaffen wurde das Wort vom australischen Umweltphilosophen Professor Glenn Albrecht, der 2007 einen Artikel mit dem Titel „Solastalgia: The Distress Caused by Environmental Change“ veröffentlichte. Es beschreibt ein Gefühl, das zuvor nur umschrieben werden konnte: die Angst vor der Vernichtung der geliebten Heimat – ein Zustand, der in der heutigen Gesellschaft allgegenwärtig scheint. Das Wort ist eine Kombination aus den lateinischen Begriffen solacium für Trost und solus für Einsamkeit und dem griechischen Wort algos für Schmerz. Schnell fand diese Wortneuschöpfung Eingang in die Kunstszene.

Begleitprogramm „Schöne Aussichten“

Das MGGU bietet neben der Hauptausstellung auch öffentliche Führungen, Workshops, Gespräche mit Künstler*innen und Kurator*innen sowie eine Filmreihe in Zusammenarbeit mit dem DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum an. Wer das Thema Landschaften künstlerisch angehen möchte, sollte auch das weitere Begleitprogramm zur Ausstellung beachten. Interessierte können dort an Malerei-Workshops teilnehmen, die vom klassisch ausgebildeten Maler Liu Xue geleitet werden. Diese Workshops sind exklusiv über die Webseite der Frankfurter Stadtevents für je 25 Euro buchbar.

Genauer: Nach einer kurzen Ausstellungseinführung können die Besucher*innen zwei Exkursionen ans Mainufer unternehmen, um sich vor Ort mit den Themen „Flusslandschaft“ (25.10.2025) und „Winterlandschaft“ (24.01.2026) künstlerisch auseinanderzusetzen. Farben, Pinsel und Papier werden vor Ort bereitgestellt. Detaillierte Informationen dazu finden sich hier.

Das Gebäude der Ausstellung ist barrierefrei zugänglich.
Der Zugang zum Museum für Rollstuhlfahrer*innen, Nutzer*innen von Rollatoren oder Kinderwagen erfolgt über einen Aufzug, der sich hinter der Eingangstreppe befindet. Im Untergeschoss ist eine rollstuhlgerechte Toilette vorhanden. In einigen Ausstellungsräumen gibt es Sitzgelegenheiten. Im 1. Stock neben dem Eingang zur Ausstellung können leichte Klapphocker für den Besuch ausgeliehen werden. (2025/DE)

Aussenansicht des Museums Giersch der Goethe-Universität am Schumankai /Foto: MGGU

Information zur Veranstaltung

Zeitraum: 09.10.2025 bis 15.02.2026
Wo: Museum Giersch der Goethe-Universität (MGGU)
Schaumainkai 83
60596 Frankfurt am Main
Tel.: 069/1382101-0
E-Mail: info@mggu.de
Öffnungszeiten: Di., Mi., Fr., Sa., So.: 10:00–18:00
Do: 10:00–20.00 Uhr
Preise: Erwachsene 7 Euro, ermäßigt: 5 Euro
Studierende der Goethe-Universität: 0 Euro
Personen unter 18 Jahren: 0 Euro
Anmeldung für Führungen: Tel.: 069/1382101-22
E-Mail: anmeldung@mggu.de

Titelbild (oben): Unknown Fields: Rare Earthenware, 2015 / drei Vasen aus schwarzem Steingut aus radioaktiven Bergbauabfällen / © Unknown Fields/Toby Smith / MGGU

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