Der Kampf um mehr Wohnraum

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Frankfurter Hausbesetzergemeinschaften lebten zwischen schimmeligen Wänden und gekappten Stromkabel. In den 1970er Jahren kämpften Menschen mit Migrationshintergrund und Studierende gegen Bauspekulanten, die Wohnungen aufkauften, um sie in teure Büroimmobilien umzuwandeln. Dieser Widerstand gegen Bauspekulanten und ihre Pläne war die erste Protestbewegung in der Geschichte der Bundesrepublik.

Grafik: Rudolf Schindler

Das Frankfurter Westend ist ein Stadtteil mit schönen Grünflächen, Bürogebäuden und Gründerzeithäusern, in dem heute viele Menschen unterschiedlicher Herkunft leben. Das Gesicht dieses Stadtteils sah vor den 1960er Jahren noch ganz anders aus. Obwohl Frankfurt nach dem Zweiten Weltkrieg zu annähernd 70 Prozent zerstört war, sind viele ältere Häuser erhalten geblieben, zum Beispiel gab es im Frankfurter Westend so gut wie keine Kriegsschäden. Ab den 1960er Jahren stieg jedoch die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum, und die Zahl der Wohnungssuchenden in Frankfurt nahm zu. Mitte der 1960er Jahre beschloss die SPD-geführte Stadtregierung, den Bedarf an Wohnraum nicht etwa zu decken, sondern das Westend als „Stadterweiterungsgebiet“ zu erklären. So boten sie Investor*innen die Chance, Bürogebäude und Hochhäuser im Westend zu errichten. In der Folge dieser Entscheidung kauften Bauspekulanten mehrere wertvolle Altbauten im Frankfurter Westend. Diese erwarben sie für die Erweiterung des Bankenviertels und ersetzten den vorhandenen Wohnraum durch teure Büroflächen. Durch die neu errichteten Gebäude veränderte sich das Gesicht des Stadtteils. Man erachtete den Wert von Bürogebäuden höher als Wohnraum, da man für Büroräume wesentlich höhere Mieten verlangen konnte.

Die Märzangriffe 1944

Die Luftangriffe vom 18. und 22. März 1944, die schwersten Angriffe auf die Stadt im Zweiten Weltkrieg, verwandeln weite Teile der Stadt in eine rauchende Trümmerwüste.

Die Märzangriffe 1944

Angespannte Wohnsituation im Westend

In dem Stadtteil sank die Bevölkerung durch spekulative Wohnungskäufe innerhalb von vier Jahren von 40.000 auf etwa 20.000 Einwohner*innen. Die Bauspekulanten, jetzt faktisch die neuen Eigner*innen, nutzten ausstehende Reparaturen als Vorwand, um ihrerseits ungewollten Mietparteien zu kündigen. So wurden Stromkabel gekappt, um neue Mieter*innen und Interessenten durch den schlechten Zustand der Wohnungen abzuschrecken. So ging es bis in die 70er Jahre, in denen fortlaufend mehr Gastarbeiter*innen und Studierende in den desolaten Wohnungen untergebracht wurden als Wohnraum tatsächlich vorhanden war. Dadurch reichten die sanitären Einrichtungen für die hohe Anzahl der Menschen nicht mehr aus. Zudem zogen die schlechten Verhältnisse in den Kellerräumen Ratten und anderes Ungeziefer an. Man plante, die inzwischen unbewohnbaren Wohnungen nach Abzug der letzten Mieter*innen abzureißen. Infolgedessen wandelte sich das Stadtbild zum Beispiel in der Bockenheimer Landstraße drastisch.

Ausstellung des Frankfurter Archivs der Revolte in den Fluren der VHS Foto: Rudolf Schindler

Am Abend des 19. September 1970 schloss sich eine Wohngemeinschaft aus 20 Student*innen und einigen Migrantenfamilien zusammen und besetzten das leerstehende Wohnhaus in der Eppsteiner Straße 47. Die Gemeinschaft führte die in den Wohnungen notwendigen Reparaturen durch, um sie wieder bewohnbar zu machen. Sie planten, einen kindergerechten Raum für deutsche und ausländische Familien zu schaffen. Diese Aktion blieb von Anwohner*innen nicht unbemerkt. Sympathisierende Student*innen besetzten daraufhin weitere Wohnhäuser in der Liebigstraße 20 und der Corneliusstraße 24. Diese illegalen Besetzungen wurden von der Stadtverwaltung widerstrebend bis zum Herbst 1971 geduldet.

“Das ist unser Haus”

Seit 50 Jahren besetzen Linke in der Bundesrepublik Häuser. Begonnen hat es im September 1970 in Frankfurt am Main, wo Studierende und Migranten eine Stadtvilla vor dem Abriss retteten.

“Das ist unser Haus”

Am Tag, als im Westend eine Revolte begann.

Am 19. September 1970 besetzten Aktivisten ein leerstehendes Mietshaus in Frankfurt – aus Protest gegen Spekulation und Wohnungsnot. Bald flogen nicht nur in Frankfurt Steine und Polizeiknüppel.

Am Tag, als im Westend eine Revolte begann

Polizeigewalt und Schlägertrupps

Ausstellung des Frankfurter Archivs der Revolte in den Fluren der VHS Foto: Rudolf Schindler

Erst im Jahre 1971 stieg der Druck der Grundstückseigentümer*innen auf die Stadtverwaltung so weit an, dass beschlossen wurde, keine weiteren Hausbesetzungen zu dulden. Die Polizei wurde angewiesen, das besetzte Haus im Grüneburgweg 113 zu räumen. Im Zuge dessen kam es zu den ersten Straßenschlachten zwischen der Polizei und protestierenden Student*innen, die gegen die Räumung vorgingen. Während dieser Zeit kam es immer wieder zu nächtlichen Überfällen von Hausbesetzern durch maskierte Schlägertrupps, im Bestreben diese zu vertreiben.

Häuserkampf in Frankfurt

Die vermummten Polizisten kamen nachts. Brachen die Wohnungstür auf und rissen die Menschen aus dem Schlaf. „Sie hatten Helme auf und haben mir mit Taschenlampen ins Gesicht geleuchtet“, erinnert sich Sara Flora. Sie war damals sieben Jahre alt und gehörte zu den Kindern im besetzten Haus Bockenheimer Landstraße 93. Sie zitterte vor Angst. „Alle mussten sich nackt im Flur aufstellen mit erhobenen Händen.“

Häuserkampf in Frankfurt: „Die Tochter des Polizeipräsidenten kämpfte auf unserer Seite“

Ihren Höhepunkt fanden die Straßenschlachten im März 1973, als das Gebäude im Kettenhofweg 51 geräumt werden sollte. Die Konfrontationen forderten auf beiden Seiten zahlreiche Verletzte. Unter den krawallbereiten Student*innen fiel besonders die sogenannte Putzkolonne der späteren Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer (von 1998 bis 2005 Bundesaußenminister/Vizekanzler – Bündnis 90/Die Grünen) durch ihre militante Gewaltbereitschaft auf.

Vor 50 Jahren in Frankfurt: Auf in den Häuserkampf!

Spekulanten kauften in den sechziger Jahren Gründerzeit-Villen im Frankfurter Westend und ließen sie mutwillig verfallen, um sie dann abreißen zu dürfen. Bürotürme versprachen mehr Profit. Am 19. September 1970 antworteten Studierende und Migranten – es kam zur ersten Hausbesetzung der Bundesrepublik.

Vor 50 Jahren in Frankfurt – Auf in den Häuserkampf

AGW und Regierungssympathien

Im Jahr 1969 gründeten rund 700 Bürger*innen eine der ersten Bürgerinitiativen, die sie Aktionsgemeinschaft Westend (AGW) nannten, weil diese sich für das Frankfurter Westend engagierten. Die Initiative erhielt anfangs viel Zuspruch von den politischen Parteien der Stadt, wie der damals regierenden SPD. Die Öffentlichkeit solidarisierte sich mit den Besetzer*innen und anfangs konnte die Initiative in Geschäften, wie Schade & Füllgrabe, kostenlos Lebensmittel einkaufen. Bis heute setzt sich die Bürgerinitiative der AGW für den architektonisch baulichen Erhalt des Westends ein.

“Das Westend – Ihr Stadtteil, Ihr Zuhause”

Dass wir noch immer in einem der schönsten Stadtteile Frankfurts wohnen, ist kein Zufall: 1969 haben sich Bürgerinnen und Bürger des Westends auf dem Höhepunkt einer Spekulationswelle, die das Westend in einen reinen Bürostandort verwandeln sollte, zusammengeschlossen und die Aktionsgemeinschaft Westend e.V. (AGW) gegründet.

Aktionsgemeinschaft Westend

Das Ende der Konflikte

Nachdem der neue Bürgermeister Walter Wallmann (CDU) die Kommunalwahlen 1977 gewonnen hatte, setzte er sich für den Erhalt des historischen Stadtbildes ein und diskutierte mit Investor*innen am Runden Tisch über die Visionen der CDU. Walter Wallmann setzte sich für den Wiederaufbau der Alten Oper und die Rekonstruktion der östlichen Teile des Römerbergs ein. Ab jetzt mussten sich die Investor*innen gemeinsam mit der Stadtverwaltung mit dem Problem der sozialen Wohnungspolitik befassen. Währenddessen wurden in westdeutschen Städten, durch die Frankfurter Hausbesetzerbewegung angeregt, weitere Wohnhäuser besetzt. So in Berlin-Kreuzberg und in der Hamburger Hafenstraße. In der Mainzer Straße im wiedervereinigten Berlin kam es zu den vorerst letzten Konflikten.

Ausstellung zum Frankfurter Häuserkampf in der Volkshochschule

Dieses Haus ist besetzt! Frankfurter Häuserkampf 1970–1974“ heißt eine Bilderreihe, die das Team des „Frankfurter Archivs der Revolte“ erarbeitet und in der VHS (Volkshochschule) in der Sonnemannstraße 13 bis in den Juni 2023 ausgestellt hatte. Sie erinnerte mit Bildern und Texten an den ersten Häuserkampf im Frankfurter Westend. Wer mehr über die Ausstellung erfahren möchte, kann eine ausführliche Dokumentation der Ausstellung auf der Seite archiv-der-revolte.de finden oder alternativ das Buch “Dieses Haus ist besetzt!: Frankfurter Häuserkampf 1970-1974” über den Buchhandel für den Preis von 16 € beziehen.

Ausstellung des Frankfurter Archivs der Revolte in den Fluren der VHS Foto: Rudolf Schindler

Text: Rudolf Schindler

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