Gallus – die Mischung macht’s!

Foto: GFFB

Der Stadtteil Gallus, westlich vom Hauptbahnhof gelegen, ist wie ein Puzzle oder ein Mosaik. Es ist durch die Erweiterungen, Neubauten und alte – auf neue Weise genutzte – Fabrikgebäude zu einer verblüffenden Vielfalt gewachsen.

Skyline Plaza

Große Teile des Gallus haben eine Gründerzeit-Architektur. Man findet hier eine kleine Bürostadt, durchsetzt von Wohnhäusern, ein Hochhaus-Viertel, eine Shopping-Mall, aber auch frühe Arbeitersiedlungen (Alte Hellerhofsiedlung), sowie deren berühmte Fortsetzung – die Neue Hellerhofsiedlung, die von Ernst May im Zuge des Aufbaus des sog. „Neuen Frankfurt“ in den 1920er Jahre entworfen wurde. Das neu erbaute Europaviertel setzt die Reise durch die Siedlungsarchitektur in die Jetztzeit fort. Es gibt im Gallus ehemalige Industrieareale, die umgestaltet wurden und werden – brachliegende ehemalige Fabrikgelände, die darauf brennen, neu erschlossen und bebaut zu werden.

Frankenallee

Das Gallus hat gleich zwei Hauptstraßen: die vielbefahrene und geschäftige Mainzer Landstraße und die parallel zu ihr verlaufende Frankenallee, auf der regelmäßig freitags ein kleiner Wochenmarkt stattfindet. Zwei denkmalgeschützte – über die Grenzen Frankfurts bekannte – architektonische Industriedenkmäler befinden sich ebenfalls im Gallus: der Hauptbahnhof und die Adlerwerke.

Galluswarte

Die Galluswarte – das Wahrzeichen des Stadtteils – ist ein im Jahre 1414 erbauter und heute einer von nur vier erhalten gebliebenen Warttürmen in Frankfurt. Im Mittelalter wurde das Gallusviertel „Galgenfeld“ genannt und erstreckte sich westlich der mittelalterlichen Stadtgrenze Frankfurts. Während der Belagerung Frankfurts 1552 durch Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach wurde die Galluswarte zerstört und die Umgebung verwüstet. Die Warte wurde später wieder aufgebaut.

Via Regia – Obelisk

Die Handelsrouten, die das Gallus durchzogen, trugen zu einer Vielfalt der hier ansässigen Bevölkerung bei. Die älteste – die »Via Regia« – stand unter dem Schutz des Kaisers und wurde allein schon deswegen viel benutzt. Ihr weit verzweigtes Netz verband Frankfurt mit ganz Europa. Durch Kurfürst Emmerich Josefs und einvernehmlich mit der Stadt Frankfurt wurde 1746 die Mainzer Landstraße ausgebaut. 1815 reichte das Frankfurter Stadtgebiet bereits bis etwa zur der heutigen Mönchhofstraße.

Adlerwerke

Durch die Eröffnung des Frankfurter Hauptbahnhofs 1888 wurde der Stadtteil Gallus der Sitz von einigen Industrie- und Handwerksbetrieben, was viele Jahre das Bild und Geschehen des Stadtteils prägen sollte. Die bekanntesten Betriebe waren und sind wohl die Adlerwerke mit ihrer Auto-, Zweirad- und Büromaschinen-Produktion, Eisengießerei Mayfahrt & Co, die Bremsenfabrik Alfred Teves und Harry Fulds Telefonbauer. Die erste deutsche Schreibmaschine verließ 1898 die Adlerwerke.

Den Backsteinpalästen der Fabriken, die noch heute dem Gallus das Aushängeschild geben, folgten die Arbeiter. Zunehmend siedelten sich auch andere Unternehmen an, wie z.B. Transportbetriebe. Es entstanden Arbeitersiedlungen, wie die Hellerhof-Siedlung und die Friedrich-Ebert-Siedlung.

Neue Hellerhofsiedlung

Etwa 15.400 Einwohner wohnten 1905 im Gallusviertel. Seine Bebauung 1920 erreichte an der Mönchhofstraße ihren westlichen Abschluss. Am Rebstock-Gelände befand sich 1924 der Frankfurter Flughafen. Dort wurden 1928 auch Versuche mit Raketenflugzeugen durchgeführt. Im Jahre 1939 zählte man schon 39.933 Einwohner im Gallusviertel. Durch Luftangriffe der Alliierten 1944 im Zweiten Weltkrieg kam es zu schweren Zerstörungen im Stadtteil. Nach dem Krieg sank 1950 die Einwohnerzahl auf 29.000 Einwohner.

Mainzer Landstraße

In der Nachkriegszeit nutzten viele Autohäuser die Lage in der Mainzer Landstraße, die eine der bekanntesten Straßen im Gallus und auch in ganz Frankfurt ist. Im Jahre 1951 erhielt die Galluswarte eine Renovierung und bekam 1978 einen neuen Verputz. Die Mainzer Landstraße zieht sich quer durch das Gallus und verbindet den Hauptbahnhof mit Griesheim und Höchst im Westen von Frankfurt. Erstmals konnte man die Strecke Hauptbahnhof – Galluswarte 1895 mit einer Akkumulatoren-Straßenbahn erreichen. Diese wurde von dem Amerikaner Edison erfunden. 1902 wurde die Straßenbahnlinie bis zur Rebstöcker Straße und im Jahr 1930 bis nach Griesheim verlängert.

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Durch die Lage des Viertels, das „eingezwängt“ zwischen dem Gleisvorfeld des Hauptbahnhofs und den Gleisen des Hauptgüterbahnhofs (heute Europaviertel) lag, konnte jahrzehntelang kaum eine in die Zukunft weisende Stadtentwicklung stattfinden. Die industrielle Vergangenheit des Quartiers und die hohe Anzahl der zugezogenen »Gastarbeiter« machten das Gallus seit den 1960er Jahren zu einem Wohnviertel mit einer homogenen Bevölkerungsstruktur. Es gehörte nicht zu den »angesagten« Stadtvierteln Frankfurts und war bekannt für Probleme. Einige Straßenzüge wurden und werden noch heute mit sozialen Problemen assoziiert.

Mit dem Zusammenbruch der Industrie in den 80ern und 90ern veränderte das Gallus sein Gesicht. Mitte der 1980er Jahre hielt der Verlag der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ Einzug in die Büro- und Redaktionsgebäude in der Hellerhofstraße/Frankenallee und ist bis in die Gegenwart dort ansässig.

Europaviertel

Heute jedoch ist das Gallus (bis 2007 offiziell Gallusviertel genannt) ein Stadtteil im Wandel und hat viel mehr zu bieten als viele Einheimische und Außenstehende denken würden. Durch die Aufgabe des Güterbahnhofs durch die Deutsche Bahn 1996 entstand auf dem freigewordenen Areal 2006 das Europaviertel, was dem Gallus zu neuem Ruf und neuen Möglichkeiten verhalf. Es zeichnet sich als lebendiges Viertel mit Wohnungen, Büros, Hotels und Parks aus, wovon das Gallus profitiert. Das ist auch der Grund, warum wieder mehr Menschen ins Gallus ziehen wollen. Auch wird das Viertel nach und nach verschönert. In vielen Ecken wird saniert oder neu gebaut. Nachdem weitestgehend die meisten Autohäuser auf der Mainzer Landstraße verschwanden, ließen sich immer mehr Cafés, Bistros und Dienstleistungsfirmen nieder. Das große Bürohaus auf der Mainzer Landstraße 323-329, wo vor Jahren noch das Frankfurter Ordnungsamt und Straßenverkehrsamt sesshaft waren, wurde neu saniert und dient heute als Studentenwohnheim. Das hat sicherlich zur Folge, dass im Gallus immer mehr jüngere Menschen Einzug halten und das Viertel dadurch lebendiger wird.

Mehrgenerationenhaus

Der Stadtteil ist ein exemplarisches Beispiel für eine positive Veränderung. Fast nirgendwo in Frankfurt findet man inzwischen eine so große Vielfalt an sozialen Einrichtungen und Nachbarschaftshilfen. Es gibt zum Beispiel das Mehrgenerationenhaus mit seinen zahlreichen Angeboten für Jung und Alt. Das Familienzentrum Monikahaus bietet unter einem Dach vielfältige, integrierte und miteinander vernetzte Hilfen für Familien an.

Monikahaus

Ratsuchende erhalten eine bedarfsorientierte und passgenaue Unterstützung. Für Jugendliche gibt es mehrere soziale Einrichtungen, die für fast jedes Hobby Kurse, Workshops und andere Aktivitäten anbieten. Die meisten sogar umsonst.

GFFB gGmbH

In der Mainzer Landstraße befindet sich die GFFB gGmbH– ein Sozialunternehmen, das eine vielfältige Palette an berufsbildenden Angeboten, Beratungen, Sprachkursen und anderen sozialen Dienstleistungen anbietet. Dazu gehören auch kostenlose Stadtteilführungen und die Möglichkeit, den Kulturpass zu beantragen. Im World Shop – neben dem Eingang zum Hauptgebäude – können Interessierte zu sehr günstigen Preisen Second-Hand-Kleidung erwerben. Das World Cafe im Hinterhof dient als beliebter Treffpunkt und Veranstaltungsort für Lesungen, Musikveranstaltungen oder Kochevents. In den Räumlichkeiten befindet sich der größte Frankfurter Bücherschrank, in dem potentielle Leseratten sicherlich einen passenden Schmöker finden können.

Ein Stadtteilmanagement sorgt im Gallus für gute Vernetzung und Kooperationen, steuert aber auch selbst Ideen und Initiativen zur besseren Nachbarschaft bei. Da das Gallus in das Bund-Länder-Projekt »Soziale Stadt« aufgenommen wurde und die dadurch entstandenen Möglichkeiten sehr sinnvoll genutzt wurden, ist der Stadtteil heute weit weg vom früheren »schmuddeligen« Image.

Es sind aber nicht nur die Architektur und der städtebauliche Wandel, die das Gallus so vielfältig machen, sondern seine Bewohner*innen. Die wechselvolle Geschichte sorgte dafür, dass im Gallus schon immer die verschiedensten Menschen lebten. Vor der Industrialisierung als Viertel der Transportunternehmer*innen und Händler*innen, danach durch den Bedarf der ansässigen Fabriken an Arbeiter*innen, war hier schon lange vor „Multi-Kulti“ eine große Vielfalt von unterschiedlichen Menschen beheimatet.

Durch die billigen Mieten in der Vergangenheit war das Gallus auch ein Anziehungspunkt für Künstler*innen und Kultureinrichtungen. Hier entstand schon 1978 das erste »Gastarbeiter-Theater« der Bundesrepublik – das »teatro siciliano«. Durch den großen Erfolg der jugendlichen Truppe wurde das Ensemble über die Grenzen Frankfurts, ja Deutschlands bekannt. Nach mehreren gefeierten Gastspielen in Italien entwickelte sich die Idee für ein Theater, das freien Gruppen aus Frankfurt und seiner Umgebung, aber auch Gruppen aus aller Welt, eine Bühne bieten sollte.

Früherer Sitz des Gallus-Theaters

Das Gallus-Theater war geboren. Jahrelang noch in einem Keller in der Kriftelerstraße beheimatet, ist die Spielstätte seit 1997 in den Adler-Werken zuhause und hat sich in der Theaterszene einen Namen gemacht. Die Idee machte Schule und so gibt es heute im Gallus noch ein weiteres unabhängiges Theater – das Günes-Theater – das die Spielstätte in den Adlerwerken ebenso wie auch eine eigene kleine Bühne am Hauptsitz der Schauspieltruppe auf dem ehemaligen Teves-Gelände nutzt. Das Fabrikgelände wird heute außerdem von diversen Sportvereinen, Start-Ups und Künstler*innen genutzt, die hier ihre Ateliers haben. Zurzeit werden hier viele Wohnungen gebaut und ein neues Wohnquartier im Gallus entsteht.

Die Kultur lebt im Gallus. Beispiel dafür sind auch Straßenfeste, Konzerte und von der Nachbarschaft ins Leben gerufene Projekte, wie ein gemeinsam von den Bewohnern gepflegter Hochbeete-Garten, der inzwischen Nachahmer in anderen Stadteilen gefunden hat.

Sammlung Hochhut

Der Abriss des alten Güterbahnhofs und die Errichtung des neuen Europaviertels hat zu einem gewissen »Fremdeln« zwischen dem neuen und dem alten Gallus geführt. Doch man ist bemüht, die Schwellen zu senken und Berührungsängste zwischen den Bewohner*innen abzubauen. Die Eingesessenen arbeiten an der Integration Neuzugezogene. So hat man es schon immer gemacht im Gallus. Dazu soll auch der »Bildungscampus« beitragen. Auf 2,6 ha Fläche soll ein Gebäudekomplex mit mehreren einzelnen Einrichtungen gebaut werden. Geplant ist eine offene Bildungslandschaft für alle Bewohner*innen des Gallus. Eine zentrale Bibliothek wird umrahmt von einer Aula und den Bühnen für Darstellendes Spiel. Eine Mensa und eine Cafeteria, sowie viele Räume für Initiativen der ansässigen sozialen Einrichtungen und Schulen sollen entstehen.

Ein Viertel im Wandel, in dem man Geschichte spürt und sieht. Industrie, deren Bauten heute alternativ genutzt werden, und deren Maschinen in der »Sammlung Hochhut« ausgestellt werden (Eintritt frei – typisch Gallus). Siedlungsbau des 20. Jahrhunderts, der zum »Neuen Frankfurt« gehört, das UNESCO-Welterbe werden soll. Die Stadt und das Land bemühen sich verstärkt darum. Ein Viertel das mit und durch die Vielfalt lebt.

Text: dol, bek, pis

Fotos: pis

Februar 2022

 

Gefördert aus Mitteln der Stadt und des Jobcenters Frankfurt am Main

  

 

Betreut und gestaltet von : AGH Digitales
Fachanleitung:
Timo Aspacher
Faye Förster

 

 

© 2023 GFFB gemeinnützige GmbH | Mainzer Landstraße 349 | 60326 Frankfurt am Main | Tel. 069-951097-100

Kontakt        Impressum       Datenschutz