Was heutzutage für die meisten Menschen in technisch hochentwickelten Industrieländern der Welt selbstverständlicher Teil ihres Lebensstandards ist, gab es vor 150 Jahren zumindest in Frankfurt am Main noch nicht: Ein funktionierendes Abwassersystem.
Historisches
Es waren katastrophale hygienische Bedingungen, die Mitte des 19. Jahrhunderts nicht nur in Frankfurt vorherrschten. Eine funktionierende Kanalisation, wie wir sie heute kennen, war noch nicht in Sicht. Abfälle und Abwässer wurden in Fäkaliengruben entsorgt, diese nur von Zeit zu Zeit von Tagelöhnern in Fässer abgefüllt und anschließend als Dünger für die Felder verwendet oder ungefiltert in den Main gekippt. Doch der dadurch zwangsläufig entstehende buchstäblich höllische Gestank war gar das kleinere Übel. Viel schlimmer noch waren die infolge der hygienischen Zustände entstehenden Seuchen, insbesondere die Cholera. Die Forderungen in der Bevölkerung nach Abhilfe wurden immer lauter. Insbesondere der Arzt und Kommunalpolitiker Georg Varrentrapp setzte sich als Befürworter vehement für den Bau einer Abwasserkanalisation ein, nachdem er sich in Deutschland bereits als Verfechter für eine allgemeine Gesundheitslehre einen Namen gemacht hatte. Nachdem sich die Verantwortlichen der Stadtverwaltung 1854 grundsätzlich darauf einigten, eine über das gesamte Stadtgebiet reichende Abwasserkanalisation bauen zu lassen, konnte man sich zunächst nicht darüber einigen, wie denn ein solches Mammutprojekt finanziell zu stemmen sei. Erst gut ein Jahrzehnt später, 1867, erfolgte dann schließlich der erste Spatenstich.
Ein Mammutprojekt
Es war eine gigantische Aufgabe für die Ingenieure und alle anderen an der Planung Beteiligten. Damals lebten knapp 80.000 Menschen in der Stadt. Verglichen mit heute hört sich das wenig an. Doch die Einwohnerzahl stieg sehr schnell an und die Menge der ungeklärten Abwässer ebenso. Es sollte nach Baubeginn weitere 30 Jahre dauern, bis ein über das gesamte Stadtgebiet flächendeckendes Abwassernetz fertiggestellt war. Bauleiter und damit maßgeblich zuständig für die Realisierung des Projekts einer modernen Schwemmkanalisation war damals der englische Ingenieur William G. Lindley, der zuvor schon in Hamburg für den Bau eines Abwassersystems verantwortlich war. Auch in anderen deutschen und europäischen Städten war er für den Bau verantwortlich.

Problem verschoben, aber nicht gelöst
In Frankfurt freilich war es mit dem Bau und der Inbetriebnahme der Anlage nicht getan. Kaum in Betrieb, hagelte es massenweise Beschwerden von den Gemeinden mainabwärts aufgrund von Verschmutzung des Mains durch die ungefilterten Abwassereinleitungen und Geruchsbelästigungen. Kurzerhand entschied man sich für den zusätzlichen Bau einer Kläranlage am Mainufer in Niederrad. Diese wurde schließlich 1887 nach vierjähriger Bauzeit fertiggestellt, von 1902 bis 1904 erweitert und war bis 1960 in Betrieb. Heute steht das Gebäude, das zwischen 1992 und 1993 saniert wurde und dem man seinen ursprünglichen Verwendungszweck kaum noch ansieht, unter Denkmalschutz und beherbergt das Umweltlabor der Stadt Frankfurt. Mit der Abwasserreinigung entstand ein weiteres Problem: der Klärschlamm. Denn durch die Abwasserreinigung entsteht zwar auf der einen Seite sauberes Wasser, auf der anderen Seite aber auch Klärschlamm, der neben wertvollen Nährstoffen auch umwelt- und gesundheitsgefährdende Schadstoffe enthält.

SEVA Sindlingen
Deshalb kann der Klärschlamm nicht wie früher uneingeschränkt als organischer Dünger in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Aus diesem Grund wurde 1973 der Bau einer weiteren Anlage beschlossen, die 1981 in Betrieb ging: die Schlammentwässerungs- und Verbrennungsanlage Sindlingen (SEVA). Dort wird der Schlamm, welcher über eine mehr als 11 Kilometer lange Schlammdruckleitung von der Abwasserreinigungsanlage in Niederrad zur SEVA gepumpt wird, zusammen mit dem aus der Anlage in Sindlingen umweltgerecht verbrannt. Beide Anlagen bieten bei Voranmeldung kostenlose Führungen für Gruppen an. Die Führungen dauern 2-3 Stunden. Einzelbesucher können die Anlagen am Tag der offenen Tür, am Tag des offenen Denkmals und während der Veranstaltungen zur Route der Industriekultur besuchen. Termine können telefonisch vereinbart werden. Nähere Informationen finden sie hier.
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Stadtentwässerung Frankfurt am Main
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Goldsteinstraße 160
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Text: hsc
September 2022