
Von Weitem hat man das Gefühl, dass die zwei verschränkten Türme eigentlich nicht stehen bleiben können. Gemeint ist der Skytower der Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt. Erlebnisraum-Frankfurt stellt das architektonische Wunderwerk in Ostend kurz vor.
Neon-Grün leuchtete die Europäische Zentralbank (EZB) in der Dunkelheit. Es waren nicht die lichtdurchfluteten Bürogänge im Hochhaus, sondern Lichtinstallationen von Aktivisten der Umweltorganisation Greenpeace. Grund für die Aktion im Februar waren die Beratungen der EZB über ihre künftige Geldpolitik, berichtet t-online. Diese Aufsehen erregenden Aktion war kein Einzelfall. Proteste gegen die EZB-Politik mußte das Hochhaus oftmals schon standhalten. Ob Unterstützer von Klimaschutz-Organisationen den Haupteingang zum Gelände der EZB im Ostend blockierten, oder Aktivisten mit Gleitschirmen auf dem Dach der Großmarkthalle auf dem EZB-Gelände landeten – das Hochhaus als Symbol der Geldmacht zog und zieht die Gegner der EZB-Geldpolitik scheinbar wie Fliegen das Licht an.
Auf der anderen Seite hat das EZB-Areal längst auch eine große Fangemeinde für sich gewonnen. An sommerlichen Tagen lockt der benachbarte Skate-Park junge Menschen in Massen an. Und Führungen über das besondere Design und der Energieeffizienz des Hochhauses und der ehemaligen Großmarkthalle sind auch regelmäßg ausgebucht. Kein Wunder, ist die neue Zentralbank doch das bisher größte Einzelprojekt in der Entwicklung des Frankfurter Ostends.
Alle Zentralbanken der 28 EU-Staaten
Zeit für einen chronologischen Rückblick: Die EZB wurde am 1. Juni 1998 als Bestandteil der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion ins Leben gerufen. Sie ist formal mit der Geldpolitik der europäischen Gemeinschaftswährung betraut und in erster Linie für die Wahrung der Preisstabilität im Euroraum zuständig. Zusammen mit der EZB wurde das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) geschaffen. Dies umfasst die EZB sowie alle nationalen Zentralbanken der 28 EU-Staaten, unabhängig davon ob die Staaten den Euro als Währung eingeführt haben oder nicht. Das Eurosystem hingegen ist beschränkt auf die EZB und die nationalen Zentralbanken der Euro-Staaten.
Noch bis zum Herbst 2014 war der Eurotower im Frankfurter Bankenviertel der Hauptsitz der Europäischen Zentralbank. Fubon Life, eine der größten taiwanischen Versicherungsgesellschaften, erwarbt damals den 148 Meter hohen Büroturm in der Kaiserstraße 29 im Wege eines Asset-Deals und griff damit erstmals in Deutschland zu. Nach dem Auszug der damaligen BfG-Bank wurde der Turm Mitte der neunziger Jahre für das Europäische Währungsinstitut umgebaut, aus dem 1998 die EZB hervorging. Die EZB nutzte den Turm seit ihrer Gründung im Jahr 1998, später mietete sie weitere Flächen in anderen Türmen im Bankenviertel hinzu. Die beengten Platzverhältnisse und Sicherheitsüberlegungen führten schließlich zur Entscheidung der EZB, im Frankfurter Ostend einen neuen, eigenen Turm zu errichten. Dort wurde im Jahr 2015 das neue EZB-Gebäude eingeweiht.
120.00 Quadratmer Fläche für 3.700 Mitarbeiter
Schon die nackten Zahlen der neuen Immobilie, die mit ihren stürzenden Wänden, ihren schiefen Linien, und den schrägen Stützen so aussieht, als solle sie die nächste Finanzkrise illustrieren, sind imposant: 45 Stockwerke, der größere Nordturm bringt es auf 185 Meter, der Südturm ist zwanzig Meter kleiner, etwa so hoch wie der Kölner Dom. Insgesamt 120.000 Quadratmeter Bürofläche (knapp 17 Fußballfelder) stehen zur Nutzung zur Verfügung, 700 Bäume sind bisher auf dem Areal verpflanzt, 6.000 Glasscheiben in der Fassade des Büroturms verbaut, 73 Kilometer Neuverfugungen an der Fassade (Strecke Frankfurt-Mainz) vermauert – alles zusammen für rund 1,2 Milliarden Euro.
Europas Finanzgehirn aus Beton besteht aus zwei Elementen: Der ehemaligen Großmarkthalle aus dem Jahr 1928 und dem Doppelturm. Letzterer wurde im Baustil des sogenannten Dekonstruktivismus gebaut – eine architektonische Stilrichtung, die den Anspruch einer Ablösung der Postmoderne erhebt. In Anlehnung an die Dekonstruktion Jacques Derridas sollen in der Architektur Struktur und Form simultan einer Destruktion und einer erneuten Konstruktion unterzogen werden. So hat der Betrachter von Weitem das Gefühl, dass die in aneinander lehnenden Türme eigentlich nicht stehen bleiben können.
Seit Fertigstellung verfügte die Immobilie über Klimadecken, die die Funktionen des Heizens und Kühlens in sich vereinen. „Für ein angenehmes Klima im Atrium des Büroturms sowie in der Großmarkthalle sorgt eine Fußbodenheizung. Auch wurden in die Bodenbeläge der Umsteigeplattformen des Atriums und der großen Freiflächen innerhalb der Großmarkthalle Wasserrohre verlegt, durch die wiederum je nach Jahreszeit kaltes oder warmes Wasser strömt“, heißt es im Skyline Atlas, einem Informationsportal über die Hochhäuser in der Mainmetropole.
Rund 3.700 Mitarbeiter arbeiten heute in der Notenbank, zu der auch die Bankenaufsicht und das Sekretariat des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken gehören. Der Büroturm selbst verfügt über 16 Aufzüge von thyssenkrupp Elevator. Während im Nordturm vier TWIN-Aufzugsanlagen eingebaut wurden, gibt es im kleineren Südturm drei dieser Anlagen. Die Besonderheit von TWIN-Aufzügen besteht darin, dass sich in einem Schacht zwei übereinander angeordnete, jedoch nicht miteinander verbundene Kabinen bewegen. Ergänzt werden sie jeweils durch eine normale Einzelaufzugsanlage und einen Lastenaufzug, der gleichzeitig auch als Feuerwehraufzug dient. Außerdem befinden sich im Atrium fünf weitere sogenannte Shuttle-Aufzüge, die als Express-Lifte eine Geschwindigkeit von rund 2o km/h, etwa wie ein E-Scooter, erreichen.
Sammelstelle für die Deportation
Zur Geschichte der Großmarkthalle gehört ein sehr düsteres Kapitel: Von 1941 bis 1945 diente der Keller im östlichen Gebäudeteil als Sammelstelle für die Deportation von Juden. Mehr als 10.000 Frankfurter Bürger*innen wurden von dort aus mit Zügen in Konzentrationslager transportiert. Bereits 2001 beschlossen die EZB und die Jüdische Gemeinde Frankfurt, einen internationalen Wettbewerb zur Schaffung einer Erinnerungsstätte auszuloben. Dieser wurde zwischen 2009 und 2011 von der Stadt Frankfurt am Main in enger Abstimmung mit der Jüdischen Gemeinde Frankfurt und der EZB durchgeführt. Der siegreiche Entwurf des Architekturbüros KatzKaiser schafft es, alle vorhandenen authentischen Fragmente thematisch aufzugreifen und als Symbole für die komplexen Geschehnisse der Deportationen lesbar zu machen.
Weitere Aussichten: Ein zweiter Büroturm, eine Art kleiner Bruder des Hauptgebäudes, ist laut dem Bebauungsplan auf dem Areal der früheren Großmarkthalle erlaubt. Ein*e Sprecher*in des städtischen Planungsdezernats bestätigt, dass entsprechende Beratungsgespräche schon weit gediehen waren: „Die EZB habe Platzbedarf und sei seit vielen Monaten im Gespräch mit dem Stadtplanungsamt“, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in einem Artikel. (FK)
Kontakt:
Europäische Zentralbank
Skytower
Sonnemannstraße 20 (Hauptgebäude)
60314 Frankfurt am Main
Tel: 069 / 134 40
E-Mail: visitor.centre@ecb.europa.eu