Im Westen, etwa drei Kilometer von der Innenstadt entfernt, liegt Bockenheim – einer der ältesten urkundlich erwähnten Vororte Frankfurts. Er befindet sich am westlichen Ende der alleenartig ausgebauten Verbindungsachse – der Bockenheimer Landstraße – die ihn mit dem Opernplatz verbindet.

Nach einer wechselvollen Geschichte und mehrfachen Herrscherwechseln wurde Bockenheim am Ende des 19. Jahrhunderts mit einem Eingemeindungsvertrag zu einem Frankfurter Stadtteil. Sein Wahrzeichen (auch wenn es genau genommen knapp auf Westend-Gebiet liegt!) ist die Bockenheimer Warte – ein im frühen 15. Jahrhundert errichteter Wehrturm, der – zusammen mit einem sich um die ganze Stadt ziehenden und mit angepflanzten Dornhecken versehenen Erdwall – einen Teil der damaligen Frankfurter Stadtbefestigung darstellte. Er diente auch als Kontroll- und Zollstation für transportierte Waren. Bis in die 1980er Jahre führte eine Straßenbahnlinie von der Innenstadt über die Leipziger Straße bis nach Rödelheim. Nach dem Bau der U-Bahn entstand ein großer Vorplatz vor der Warte, der heute jeden Donnerstag für den Wochenmarkt benutzt wird. Ansonsten dient er den benachbarten Cafes als ein Bewirtungsplatz mit vielen Sitzplätzen unter Sonnenschirmen im Freien, der bei schönem Wetter von vielen Gästen gern besucht wird.

Am anderen Ende des weitläufigen Areals um die Bockenheimer Warte befindet sich die Uni- und Senckenberg-Bibliothek, die mit ihrem umfangreichen Bestand viele Studentengenerationen und auch andere Bürger mit niedergeschriebenem Wissen versorgte. Durch die Fernleihe ist es möglich, nahezu alle Publikationen aus aller Welt und in vielen Originalsprachen zu bestellen.
Direkt neben der Uni-Bibliothek steht das Bockenheimer Depot – eine denkmalgeschützte Halle, die früher als Reparaturwerkstatt und Garage für die Frankfurter

Straßenbahnen gedient hat. Nach der Stilllegung und aufwendiger Renovierung wird es seit dem Ende der 1980er Jahren – nachdem 1987 das Schauspielhaus am Willy-Brandt-Platz durch einen Brand zerstört und nicht mehr benutzt werden konnte – als Veranstaltungsort der Städtischen Bühnen benutzt. Zunächst nur für Gastspiele vorgesehen, gehört es heute zu den etablierten und beliebtesten Spielorten in ganz Frankfurt.
In der Jordanstraße befindet sich die Karl-Marx-Buchhandlung, die gerade in diesem Jahr ihren 50. Jahrestag feiern konnte und unter den Studierenden seit

längerer Zeit einen Kultstatus erreichen konnte. Ganze Studentengenerationen versorgten sich hier vorwiegend mit soziologischer und politologischer Literatur. Seit dem Umzug der Universität auf den Campus ins Westend ist es allerdings in Bockenheim in letzter Zeit etwas ruhiger geworden. Dafür ist das Interesse an feministischer Literatur und den Themen Antisemitismus und Rassismus gestiegen. Es bleibt dem Mitarbeiterkollektiv zu wünschen, dass es auch in Zukunft – trotz einiger geschäftlicher Einbrüche der letzten Jahre – seine wichtige Arbeit erfolgreich fortsetzen kann.

Die Leipziger Straße bildet das Rückgrat des wirtschaftlichen Lebens Bockenheims. Es ist eine Einkaufsstraße, die durch das ganze Stadtviertel führt und zum Flanieren einlädt. Viele namhafte Einzelhändler und alt eingesessene Mittelstandbetriebe, Bäckereien, Metzgereien, Tabak- und Fischhändler haben früher hier ihren Sitz gehabt. Auch wenn einige noch weiter aktiv sind, hat sich in den letzten Jahren doch das Erscheinungsbild geändert. Drogerie- und Food-Ketten, Telekommunikations- und Billigläden bestimmen heute das Straßenbild. Unter denen, die geblieben sind, ist ein Familienbetrieb – eine traditionsreiche Kaffeerösterei (Cafe Stern), die sich ein wenig von der Straße zurückversetzt in einem Hinterhof befindet. Im gemütlichen Ambiente kann man hier an einigen wenigen Tischen die angebotenen Kaffeespezialitäten genießen.

Weiter stadtauswärts steht die Exzess-Halle – ein links-alternatives Kulturzentrum – ein Ort für Musikveranstaltungen und Theateraufführungen mit angeschlossener Kneipe und stilvollem Kellergewölbe, in dem Diskoabende stattfinden können. Hier hat die Dramatische Bühne ihren Sitz – eine freie Theatergruppe, die schon seit Jahren in den Sommermonaten im Grüneburgpark mit ihren klassischen Freilichtaufführungen zu einem beliebten kulturellen Anziehungspunkt für Groß und Klein geworden ist.

Ganz in der Nähe – in der Basaltstraße – hat im Titania-Palast ein anderes unabhängiges Theaterensemble seinen Sitz. Das Gebäude stammt aus dem 19. Jahrhundert und bietet neben einem Gastronomiebetrieb eine kleine Bühne, auf der vorwiegend Stücke von modernen und allgemein weniger bekannten Autoren aufgeführt werden. Vor dem 1. Weltkrieg rief hier Rosa Luxemburg in einer Rede die Arbeiter zum Widerstand gegen Nationalismus und Militarismus der kaiserlichen politischen Führung auf, was ihr eine Haftstrafe einbrachte.

Zwischen der Leipziger Straße und dem Westbahnhof liegt der Kurfürstenplatz – eine ausgedehnte Parkanlage mit einem Monumentalbrunnen aus rotem Sandstein in der Mitte und einigen Bänken, die zufällige Spaziergänger zum Verweilen einladen.
Am Rande des Stadtteils – stadtauswärts in Richtung Ginnheim – steht die katholische Frauenfriedenskirche, die gegen Ende der 1920er Jahre im Stil des „Neuen Frankfurt“ errichtet wurde. Die Idee, eine Frauenfriedenskirche zu errichten, stammte von Hedwig Dransfeld, der damaligen Vorsitzenden des Katholischen Deutschen Frauenbundes. Nach den Schreckenserfahrungen des 1. Weltkrieges sollte es ein Mahnmal für die Gefallenen, ein gleichsam

steingewordenes Dankgebet der Überlebenden und eine Manifestation ihres Friedenswillens werden. Sehr imposant stellt sich das Eingangsportal der Kirche mit einer Marien-Großplastik von dem Bildhauer Emil Sutor und vielfarbigen Mosaiken dar. Die Friedenskönigin in der Mitte fungiert als Vermittlerin und Versöhnerin zwischen dem linken Mosaik, das den Krieg symbolisiert (Nacht, Trauer, Schwert), und dem rechten Mosaik mit der Darstellung von Sonne, Freude und Blumen als Attributen des Friedens.
In unmittelbarer Nähe der Kirche stehen zwei Hochhäuser, die vom Studentenwerk Frankfurt als Studierendenwohnheime betrieben werden. Gleich daneben befindet sich das Zentrum für Hochschulsport mit vielen Hallen und ausgedehnten Sportanlagen, die sich bis nach Ginnheim ausdehnen.

Bis in das 20. Jahrhundert hinein besaß Frankfurt – obwohl eine bedeutende Handelsstadt – keinen besonders hervorgehobenen Ort, an dem die für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt wichtigen Messen stattfinden konnten. Erst im Jahr 1907 begann man nach einem ausgelobten architektonischen Wettbewerb mit dem Bau einer repräsentativen Mehrzweckhalle auf dem Messegelände, der nach einer zweijährigen Bauzeit zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden konnte. Das imposante Kuppelgebäude aus Stahl und Glas hatte eine wechselvolle und verhängnisvolle Geschichte. Nach der Pogromnacht im November 1938 diente es als Inhaftierungs- und Sammlungsort für Frankfurter Juden, die später in Konzentrationslager deportiert wurden. Während des 2. Weltkriegs wurde das Gebäude mehrfach beschädigt und nach dem Krieg nur notdürftig repariert. Erst in der Mitte der 80er Jahre, nach einer kompletten – den Richtlinien des Denkmalschutzes verpflichteten – Sanierung, konnte sich die Festhalle als ein beliebter Ort für Großveranstaltungen und Konzerte etablieren.

Nicht weit entfernt vom Messegelände – in der Hamburger Allee – befindet sich das EXPERIMINTA ScienceCenter. Es ist ein Ausstellungshaus, in dem naturwissenschaftliche Phänomene und Zusammenhänge Jugendlichen, aber auch begeisterungsfähigen Erwachsenen, auf eine leicht zugängliche, konkrete und auf das Mitmachen und „Begreifen“ (im eigentlichen Sinne) fokussierte Weise, näher gebracht werden. Ihr Interesse und die Begeisterung für MINT-Fächer soll geweckt und ausgebaut werden. Es ist eine Mischung aus einem Museum und einer „Experimental-Spielwiese“ für Jung und Alt. Gegründet wurde das ScienceCenter von einem gemeinnützigen Förderverein in Zusammenarbeit mit städtischen Institutionen und naturwissenschaftlichen Stiftungen. Nach anfänglichen finanziellen Schwierigkeiten etablierte sich das Haus inzwischen zu einem beliebten Ausflugsort für Kindergartengruppen, Schulklassen und Familien.

Am Bockenheimer Westbahnhof steht das Ökohaus Arche. Seine Entstehungsgeschichte reicht in die 1980er Jahre zurück. 1988 übergab der Kommunistische Bund Westdeutschland sein Verlagshaus in der Mainzer Landstraße 147 an die Commerzbank im Tausch für ein Areal am Westbahnhof. Auf dem damaligen alten Schrottplatzgelände entstand ein nach ökologischen Prinzipien errichtetes Gebäude mit großen Glasflächen und vielen Pflanzen auf dem begrünten Dach und im Inneren. Heute ist es ein Sitz für diverse Sozialvereine, Rechtsanwälte und Arztpraxen, die sich in dieser grünen Oase gerne niederlassen.
Bockenheim ist heute ein Stadtteil, der relativ dicht besiedelt ist. Er ist beliebt bei Jung und Alt und in einigen Winkeln des Bezirks ist immer noch die Erinnerung an die alte Industrievergangenheit lebendig geblieben.
Text: pis
Fotos: gti, pis
September 2021